Russland:Russlands Opposition auf Landpartie

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Ilja Jaschin von der Jabloko-Partei ist einer der führenden Köpfe der Opposition. Und wird in den Medien verdächtigt, vom Ausland finanziert zu werden. (Foto: Vasily Maximov/AFP)

Die Regionalwahlen zeigen erneut, dass im System Putin tatsächliche Alternativen nur an der Peripherie eine Chance haben.

Von Julian Hans, Moskau

Kostroma ist wirklich alles andere als das Zentrum Russlands. 300 Kilometer nordöstlich von Moskau gelegen, 270 000 Einwohner, Zwiebelturmkirchen, klassizistische Architektur aus Zarenzeiten - und keine Flugverbindung in die Hauptstadt. Wer aus Moskau kommt, muss sechs Stunden mit dem Zug fahren.

Doch in diesen Tagen ist das Gebiet Kostroma zum Mittelpunkt des politischen Wettbewerbs in Russland geworden. Sofern man überhaupt von einem Wettbewerb sprechen kann. Am kommenden Sonntag wird in 83 Regionen des Landes gewählt. Weil es praktischer ist und Aufwand spart gleich auf mehreren Ebenen: Beim "einheitlichen Wahltag" geht es um 20 Gouverneursposten und insgesamt mehr als 10 000 Kommunalwahlen. Außer der Kreml-Partei Einiges Russland sind die Kommunisten überall mit im Rennen, die nationalistische LDPR des Populisten Wladimir Schirinowskij und die Partei Gerechtes Russland.

Das Bündnis darf fast nirgends an den Wahlen teilnehmen - außer im Gebiet Kostroma

"System-Opposition" werden diese Parteien in Russland genannt; gemeint ist, dass sie zwar nach außen politische Konkurrenz simulieren, am Ende aber stets mit der Regierung stimmen, russische Blockflöten. Die demokratische Opposition ist derweil nahezu vollständig marginalisiert. Nach dem Mord an Boris Nemzow hatten die vom ehemaligen Ministerpräsidenten Michail Kasjanow geführte Parnas und die Fortschrittspartei des Anti-Korruptions-Aktivisten Alexej Nawalny einen neuen Versuch gestartet, die zersprengten Kräfte zu bündeln und eine "Demokratische Koalition" gegründet.

Doch das Bündnis darf fast nirgends im Land an den Wahlen teilnehmen - außer im Gebiet Kostroma. Parteien, die in der Staatsduma vertreten sind, brauchten sich lediglich anzumelden. Parteien ohne Sitz im nationalen Parlament mussten für jede einzelne Wahl erst Tausende Unterschriften sammeln.

Mit großer Zuverlässigkeit haben Wahlkommissionen einen Teil der Unterschriften für ungültig erklärt. Jedes Mal hat Parnas diese Entscheidung vor Gericht angefochten, nur in Kostroma hatten sie Erfolg. In Nowosibirsk tritt noch der örtliche Parnas-Vorsitzende Jegor Sawin als Einzelkandidat an. Er war zwischenzeitlich in einen Hungerstreik getreten, um seiner Bewerbung Nachdruck zu verleihen.

Seit Wochen nun touren Moskauer Oppositionelle durch das Gebiet Kostroma. Fahren Hunderte Kilometer über löchrige Straßen, um in entfernten Dörfern eine Handvoll Wähler zu erreichen, die ihnen zuhören wollen. Welten prallen aufeinander: Da steht der 32-jährige Ilja Jaschin auf einem Dorfplatz irgendwo im Nirgendwo, ein drahtiger junger Mann mit tailliertem Hemd und breitem Grinsen. Um ihn herum sitzen Mütterchen mit bunten Kopftüchern und Rentner in Trainingshosen auf Klappstühlen, die die Wahlkampfhelfer aufgestellt haben, und gucken skeptisch.

Jaschin ist eine der Führungsfiguren der Opposition. Vor 15 Jahren begann er seine Laufbahn bei der liberalen Jabloko-Partei, war Vorsitzender ihrer Jugendorganisation, sprach auf den Bühnen der Massenproteste gegen gefälschte Wahlen im Winter 2011/2012. Nachdem die Protestbewegung mit vereinten Kräften von Polizei, Justiz und Geheimdienst auseinandergetrieben wurde, beschlossen ihre Führer, den langen Weg über die Provinz zu gehen.

Präsident Wladimir Putin selbst hat sie immer wieder dazu aufgerufen. Selbstverständlich "kann und soll" die Opposition an Wahlen teilnehmen, sagte er bei seiner jährlichen Call-in-Sendung im russischen Fernsehen im April: "Wenn sie es ins Parlament schaffen, heißt das, dass sie auch die Unterstützung des Volkes haben. Dann können sie ihre Tätigkeit offiziell ausüben und Verantwortung übernehmen."

Manche, die darauf gehofft hatten, dass der Kreml wenigstens auf kommunaler Ebene bereit ist, Konkurrenz zuzulassen, sehen sich seit dieser Wahl getäuscht. Nicht nur, dass Wahlkommissionen und Gerichte der Demokratischen Koalition auf Schritt und Tritt Knüppel zwischen die Beine warfen. Wo das nichts half, wurden andere Methoden eingesetzt. Mal wurden die Parnas-Leute von Unbekannten überfallen, mal störten Provokateure die Wahlkampfveranstaltungen, mal wurde der Kandidat Jaschin während des Gesprächs mit Wählern ohne Anlass festgenommen.

Vergangene Woche zeigte der Sender NTW, der zur Gazprom-Mediaholding gehört, eine halbstündige Pseudo-Dokumentation unter dem Titel "Pathologie - Anatomie des Protests". Darin wurden ein weiteres Mal die Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten am Vorabend von Putins dritter Amtseinführung als Präsident im Mai 2012 zum Anlass genommen, um die Opposition als vom Ausland bezahlte Verräter darzustellen, die das Land ins Chaos stürzen wollen. Diesmal im Fokus: Jaschin und Nawalny.

Schon jetzt hat die Wahlbeobachter-Organisation Golos einen ganzen Katalog mit Verstößen aufgestellt, vor allem seitens Einiges Russland. Dabei arbeitet auch Golos unter erschwerten Bedingungen. Gerade musste sich die Organisation gegen das Justizministerium zur Wehr setzen, das sie in die Liste der "ausländischen Agenten" aufgenommen hatte.

© SZ vom 10.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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