Russland:Russland wittert Widerstand

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Universitäten sollen laut russischen Medienberichten das Protestpotenzial von Studenten und Lehrern erforschen - um dann mit "Aufklärungs-Unterricht" besser für Ruhe sorgen zu können.

Von Frank Nienhuysen, München

Das Vertrauen der Russen in ihren Präsidenten Wladimir Putin gilt als ungebrochen, die Führung wird nicht groß infrage gestellt. Umso verwunderlicher ist, dass manche trotzdem der Stabilität misstrauen. Vor allem an den Universitäten und Hochschulen wittern Behörden offensichtlich Keime des Widerstandes. Die Zeitung Kommersant berichtet nun von einem Projekt namens "Szenarien des künftigen Russland", das einem Lauschangriff auf die Bildungsinstitutionen des Landes gleichkommt - und einem Misstrauensvotum für Lehrpersonal und Studenten.

Demnach erzählte neulich auf einem Kongress der Vizechef des Instituts für strategische Forschung an der Universität der Völkerfreundschaft, Nikita Danjuk, dass er zusammen mit Kollegen in den vergangenen zwei Jahren mehr als 40 Moskauer sowie Dutzende Hochschulen in den Regionen besucht habe, um das "Protestpotenzial von Studenten und Lehrern" zu erkunden. Und zwar, indem diese in Diskussionen ihre Meinung "zu politischen Fragen" offenlegten. Die Ergebnisse des Projekts würden "für den Dienstgebrauch" erstellt, unter anderem für Vertreter der Staatsorgane, heißt es in dem Zeitungsbericht.

"Der Staat befindet sich in einem nicht erklärten Krieg, der einen hybriden Charakter hat und viele Fronten - eine ist die mentale Front", zitiert Kommersant den Wissenschaftler. Und damit der Staat nicht in ein Chaos versinke, seien aufklärerische Unterrichtsstunden ausgearbeitet worden gegen "destruktive politische Kräfte". Diese werden im Westen verortet.

In den sozialen Netzwerken hagelt es kritische Kommentare, von "Säuberungen" ist die Rede

Danjuk wehrte sich am Montag gegen die Darstellung und betonte, dass seine Rede von den russischen Journalisten falsch interpretiert worden sei. Es gehe nicht um das Sammeln von Informationen, um eine mögliche Proteststimmung aufzuspüren. Vielmehr solle vorgebeugt und verhindert werden, dass Studenten zu "Objekten von manipulativen politischen Technologien" würden. Welche genau er meinte, sagte er nicht. Der Kommersant-Autor bleibt jedenfalls bei seiner Darstellung und hat dazu einen Mitschnitt veröffentlicht.

Stimmen alle Umfragen und Meinungsbilder, dürfte in Moskau eigentlich niemand Sorge haben, dass in Russland bunte Revolutionen drohen wie in der Ukraine, Georgien oder einst Kirgistan. Und doch ist die Angst da. Vor allem Schüler und Studenten werden offenbar für anfällig gehalten, eines Tages aufzubegehren. Schon während der Massenproteste im Winter 2011/12 versuchten die Behörden, die junge Generation möglichst unter Kontrolle zu halten: An Tagen, an denen Demonstrationen stattfanden, mussten Schüler zu spontan angesetzten Prüfungen antanzen.

Das Projekt "Szenarien des künftigen Russland" gibt es seit zwei Jahren, es wurde nach russischen Medienberichten unter anderem aus staatlichen Mitteln bezuschusst. Aufsehen erregte vor einem Jahr ein versuchter Propaganda-Auftritt von Nikolaj Starikow, einem der Anführer der Anti-Maidan-Bewegung. Als er sich im Rahmen des Projekts in einen Hörsaal stellte und von einer angeblichen Verschwörung des Westens gegen Russland erzählen wollte, riefen die empörten Studenten "Schande" und liefen in Scharen aus dem Raum.

Auch jetzt hagelt es in den sozialen Netzwerken kritische Kommentare. Von möglichen "Säuberungen" in den Unis ist die Rede. "Eine Moral gibt es nicht mehr", klagte auf Facebook Dmitrij Gudkow, der bis zu seiner Abwahl im September der einzige liberale Abgeordnete im russischen Parlament war. Ein anderer schrieb süffisant: "Noch nirgendwo habe ich so viel Protestpotenzial gespürt wie heute früh in der Metro."

© SZ vom 26.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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