Russland:Russland entdeckt seine Gewaltherrscher wieder

Russland: Denkmal für einen sadistischen Gewaltherrscher: Die Statue Iwans des Schrecklichen nach ihrer Enthüllung in Orel in Russland

Denkmal für einen sadistischen Gewaltherrscher: Die Statue Iwans des Schrecklichen nach ihrer Enthüllung in Orel in Russland

(Foto: AP)

Erst ein Stalin-Zentrum, jetzt eine Statue für Iwan den Schrecklichen, der seinen Gegnern das Herz herausschneiden ließ: Der russische Kulturminister sieht da kein Problem.

Von Julian Hans, Moskau

Seinen Beinamen "der Schreckliche" hat sich Iwan IV. hart erarbeitet. Der Zar, der sich selbst krönte, dachte sich gern qualvolle Strafen für vermeintliche Gegner aus und sah mit sadistischem Genuss zu, wie diese bei lebendigem Leib gehäutet, gepfählt oder am Spieß gebraten wurden. 1570 ließ er Tausende Bewohner Nowgorods in den Fluss Wolchow treiben, wo seine Häscher in Booten umherfuhren, und alle, die nicht sofort ertranken, mit Äxten totschlugen. Den Adels-Führer Iwan Fjodorow-Tscheljadin bezichtigte er der Verschwörung, ließ ihn in ein Zarengewand kleiden und auf den Thron setzen und schnitt ihm dort das Herz heraus.

Am vergangenen Freitag wurde in der westrussischen Stadt Orjol das erste Denkmal für Iwan IV. enthüllt. Über Monate hatten sich die Bewohner mit Petitionen und Klagen gegen die Statue gewehrt, aber der Kommunist Wadim Potomskij, Gouverneur der Region, setzte sich durch. Zur Eröffnung kamen unter anderem der Motorrad-Rocker und Stalin-Verehrer Alexander Saldostanow sowie der Schriftsteller und Neurussland-Ideologe Alexander Prochanow.

Saldostanow dankte dem Gouverneur "im Namen der ganzen patriotischen Motorrad-Bruderschaft, im Namen aller Wölfe des russischen Frühlings". Sein Klub, die Nachtwölfe, hatten sich während der Annexion der Krim als Verteidiger gegen "Faschisten aus Kiew" in Szene gesetzt. Als "russischen Frühling" titulierten nationalistische Gruppen den von Moskau angefeuerten Aufstand in der Ostukraine.

Der Kulturminister findet, man müsse Iwan IV. im Kontext seiner Zeit sehen

Kulturminister Wladimir Medinskij, der es als seine Mission betrachtet, das Land gegen feindliche Geschichtsfälschung zu verteidigen, nahm den blutrünstigen Herrscher in Schutz. Iwan IV. müsse im Kontext seiner Zeit gesehen werden, mahnte er: "Iwan den Schrecklichen sollte man nicht mit Mutter Teresa oder Mahatma Gandhi vergleichen, sondern mit seinen Zeitgenossen, die in Frankreich oder England herrschten." So seien etwa bei der Pariser Bluthochzeit Tausende Hugenotten hingemetzelt worden. Schwer vorstellbar indes, dass in Frankreich heute ein Denkmal für Karl IX. errichtet würde.

Dass die vorgeblichen Patrioten in der russischen Geschichte selbst nicht ganz trittfest sind, offenbarte die Rede des Gouverneurs Potomskij. Der Zar habe sich keineswegs deshalb selbst die Schuld am Tod seines Sohnes gegeben, weil er ihn im Jähzorn erschlagen habe, wie die Legende erzählt. Vielmehr sei der Sohn erkrankt, "als sie aus Moskau nach Petersburg reisten" und verstorben. Der Haken an dieser Darstellung: Die spätere Hauptstadt Sankt Petersburg wurde erst mehr als hundert Jahre nach dem Tod von Iwan dem Schrecklichen gegründet.

Aber historische Fakten müssen derzeit hinter dem Patriotismus zurückstehen. Das hatte Minister Medinskij Anfang des Monats noch einmal ausdrücklich klargemacht, als er ein Kino-Epos über die "28 Panfilow-Helden" gegen Kritik verteidigte. Dieses erzählt die Geschichte von 28 Kämpfern, die im November 1941 Moskau gegen die vorrückende Wehrmacht verteidigten und dabei angeblich 18 deutsche Panzer allein mit Handgranaten und Molotow-Cocktails zerstörten.

Frei erfundene Helden-Mythen? Kein Problem

Die Legende gehört zum Kanon der sowjetischen Helden-Mythen, war aber schon zur Sowjetzeit immer wieder angezweifelt und in den 1990er-Jahren widerlegt worden. Im vergangenen Jahr veröffentlichte das russische Staatsarchiv Unterlagen, die zeigen, dass Journalisten der Zeitung Roter Stern die Geschichte seinerzeit frei erfunden hatten. Selbst wenn dem so wäre, mache das keinen Unterschied, meinte der Minister: "Das ist eine heilige Legende, die nicht angetastet werden darf. Und diejenigen, die das trotzdem tun, sind die letzten Dreckskerle."

Auch jenseits seiner Grausamkeit gibt es wenig Gründe, Iwan IV. zu ehren. Daran erinnerte der Historiker Jewgenij Anisimow am Montag in einem Beitrag für den Moskowskij Komsomolez. Als Staatenlenker habe der Zar eine "jämmerliche" Figur gemacht, alle Kriege verloren und anfängliche Eroberungen wieder eingebüßt. Dass das Land nach seinem Tod in eine "Zeit der Wirren" stürzte, sei direkte Folge seiner Herrschaft gewesen.

Der Publizist Kirill Schulika sieht in der Ehrung System. Die Zeit, in der Gedenktafeln für Opfer von Repression errichtet wurden, sei vorbei, schreibt er in einem Betrag für die Website von Radio Echo Moskaus. Das Denkmal in Orjol sei Teil einer "Revanche für Denkmäler für die Opfer politischer Repression". Dazu gehöre auch die neue Stalin-Verehrung. Vor einem Jahr wurde in der Stadt Pensa ein Zentrum zu Ehren des Diktators eröffnet.

Das Muster setzt sich bis in die jüngste Vergangenheit fort. 30 000 Unterschriften konnten den Moskauer Bürgermeister nicht überzeugen, die große Moskwa-Brücke in Nemzow-Brücke umzubenennen. Der Oppositionspolitiker Boris Nemzow war dort im Februar 2015 erschossen worden. Die Spuren führen ins Umfeld des Tschetschenen-Oberhaupts Ramsan Kadyrow. Stattdessen wurde eine Brücke in Sankt Petersburg umbenannt. Sie heißt jetzt Kadyrow-Brücke.

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