Russland:Neujahrsgrüße aus Moskau

Russland Rakete Hyperschall

Putin verfolgte den Rest der Rakete im Kontrollraum des Verteidigungsministeriums.

(Foto: AP)
  • Russland hat eine neue Rakete vorgestellt, die angeblich mit zwanzigfacher Schallgeschwindigkeit fliegen kann.
  • Präsident Putin bezeichnet den Test der Avangard als "Neujahrsgeschenk an die Nation".
  • Das ohnehin angespannte Verhältnis zur Nato und den USA dürfte dadurch eher weiter verschlechtert werden.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Die richtige Inszenierung beherrscht Wladimir Putin nach 18 Jahren an Russlands Spitze perfekt. Als "exzellentes Neujahrsgeschenk an die Nation" bezeichnet der Präsident den angeblich erfolgreichen Test des Hyperschall-Raketentyps Avangard , den er im Kontrollraum des Verteidigungsministeriums mitverfolgt habe.

Die neue Rakete, die von einem Gleitfahrzeug gestartet wurde, flog demnach mit zwanzigfacher Schallgeschwindigkeit über eine Distanz von 6000 Kilometern und ist laut Putin mit herkömmlichen Abwehrsystemen nicht zu treffen, da sie während des Fluges ständig Steuerbefehle ausführen und ihre Flugbahn ändern kann. Russland sei damit auf Jahrzehnte "unverwundbar", prahlte Putin und kündigte an, dass die Avangard 2019 einsatzbereit sein werde. Sie soll sowohl konventionelle als auch nukleare Sprengköpfe tragen.

Bis Moskaus Darstellung von unabhängiger Seite verifiziert ist, dürften mehrere Tage vergehen. Die aktuellen Bilder tragen jedoch nicht dazu bei, das angespannte Verhältnis zwischen Russland und den USA zu verbessern. Die ohnehin minimalen Chancen, den INF-Vertrag zum Verbot von nuklear bestückten Mittelstreckenraketen zu retten, dürften weiter schwinden. Seit 2014 bricht Moskau einseitig dieses für Europas Sicherheitsarchitektur so wichtige Abkommen, weshalb die 29 Nato-Mitglieder Moskau bis Anfang Februar Zeit gegeben haben, die Raketen vom Typ 9M729 sowie die Trägersysteme zu zerstören - ansonsten wird Washington den 1987 unterzeichneten Vertrag aufkündigen.

Als Hyperschallwaffen werden Raketen bezeichnet, die mit mindestens fünffacher Schallgeschwindigkeit fliegen können. Der Einsatz dieser ultramodernen Waffen ist durch den INF-Vertrag nicht geregelt, allerdings erkennen Experten wie Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik Parallelen zum Sicherheitsdilemma der Achtzigerjahre. "Damals erzeugten die Mittelstreckenraketen eine enorme Unsicherheit, weil die Militärs die Gegenseite nicht mehr fragen konnten, ob der Abschuss ein Versehen war", erklärt Mölling. Die Zeitspanne betrug damals mitunter deutlich weniger als zehn Minuten, was für Kommunikation nicht ausreichte, weshalb sofort eigene Raketen hätten abgefeuert werden müssen. Folglich verboten USA und Sowjetunion diese Waffengattung mit einer Reichweite von bis zu 5500 Kilometern. Bei den Hyperschallwaffen, so Mölling, gehe es um weniger als eine Minute, was eine noch viel größere Instabilität bewirke und mehr Investitionen in die Verteidigungssysteme auslösen werde: "Es gibt momentan ein Übergewicht in der Offensive, diese neuen Waffen sind extrem schwer abzuwehren."

Mit der neuen Waffe kann nahezu jeder Punkt der Erde beschossen werden

Neben Russland und den USA verfügt auch China über hervorragende Kenntnisse in der Waffentechnik. Das Pentagon fordert vom Kongress mehr Geld, um eine Aufholjagd zu starten. Erst im November skizzierte Michael Griffin, der zuständige Unterstaatssekretär, die Lage so: "China hat Dutzende Tests mit Hyperschall-Systemen durchgeführt. Russland hat weniger Tests gemacht, aber die waren immer noch beeindruckend."

Analyst Mölling hält es für möglich, dass der russische Test erfolgreich war. Zugleich zweifelt er nicht daran, dass die USA den technischen Rückstand auf Peking aufholen werden. Hyperschallwaffen sind laut Mölling noch beunruhigender als Mittelstreckenraketen, da mit ihnen nahezu jeder Punkt der Erde beschossen werden kann. Das strategische Kalkül ändert sich also grundlegend. Wer eine solche Waffe einsatzbereit habe, so Mölling, besitze ein starkes Drohpotenzial, aber der Preis sei "eine enorme Instabilität" und die Gefahr des Hochschaukelns sei "sehr hoch".

Was US-Präsident Donald Trump über diese Waffen denkt, ist unklar. Bislang hat Washington nicht offiziell reagiert, auch die Nato gab keine Stellungnahme ab. Aus der Militärallianz heißt es nur, der Test eines neuen atomwaffenfähigen Systems passe "zum Muster der jüngsten russischen Aktivitäten, die alle Stabilität verringern und die Unsicherheit erhöhen" sollen. Man werde weiter alle nötigen Maßnahmen für eine "glaubwürdige und wirksame Abschreckung" ergreifen, so ein Nato-Diplomat. Wenn im April 2019 die Außenminister den 70. Jahrestag der Gründung des Verteidigungsbündnisses in Washington feiern, dürften Avangard und andere Hyperschallwaffen ein Gesprächsthema sein.

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