Süddeutsche Zeitung

Tschetschenen-Anführer Kadyrow:Putins Statthalter begehrt auf

Im Machtkampf zwischen den Moskauer Sicherheitsdiensten und dem Tschetschenen-Herrscher Kadyrow hat es schon mehrere Tote gegeben. Der Konflikt könnte zum Risiko für Präsident Putin werden.

Kommentar von Julian Hans, Moskau

Der Konflikt, der zwischen zwei Lagern in Wladimir Putins Machtgefüge ausgebrochen ist, zeigt eine Schwachstelle autoritärer Regime: Früher oder später gelangen sie an den Punkt, an dem sie für sich selbst gefährlicher sind als das Volk, gegen das sie sich wappnen.

Mit der Anweisung an seine Truppen, auf Polizisten aus anderen Regionen zu schießen, sollten diese ohne seine Genehmigung in Tschetschenien aktiv werden, unterstreicht der dortige Herrscher Ramsan Kadyrow aufs Neue seinen Anspruch, sich der Zentralgewalt nicht unterwerfen zu müssen. Dass er zur gleichen Zeit in schneller Folge Huldigungen und Ergebenheitsadressen an Wladimir Putin veröffentlicht, ist kein Widerspruch.

Putins Antworten waren bislang immer dieselben

Die Loyalität Kadyrows gilt allein Putin persönlich. Von niemand anderem lässt sich das Oberhaupt der Tschetschenen etwas sagen. So abstrakte Dinge wie Gesetz und Verfassung sind für ihn ohnehin nicht bindend. Damit ist er nur ein extremes Beispiel, welches das Herrschaftsprinzip in Putins Russland wie unter dem Vergrößerungsglas zeigt.

In den 15 Jahren, die Putin nun in wechselnden Rollen an der Macht ist, hat er auf Herausforderungen stets dieselbe Antwort gegeben: mehr Kontrolle, mehr Zentralisierung, mehr Geheimdienst und mehr Gewalt.

Während seiner ersten Amtszeit als Präsident hat er im Tschetschenien-Krieg den meistversprechenden Warlord - Kadyrows Vater - auf seine Seite gezogen und sich mit Geld und weitreichender Autonomie für Tschetschenien dessen Treue erkauft. Dass er als Garant dafür, dass Tschetschenien zumindest formell Teil der Russischen Föderation bleibt, nahezu unantastbar ist, nutzt Kadyrow weidlich aus. Die Republik ist ein Rückzugsort geworden für kriminelle Banden, die in Russland und über dessen Grenzen hinaus aktiv sind.

Das ist für die Sicherheitsbehörden in Moskau schon lange ein Ärgernis. Der Mord an dem Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat diesen Konflikt nun an die Oberfläche gebracht. Alle Spuren führen in den Kaukasus. Drei der Verdächtigten kommen aus dem in Grosny stationierten Bataillon Sewer, das zwar dem russischen Innenministerium unterstellt ist, faktisch aber Kadyrow gehorcht. Ermittler des Innenministeriums, vom Geheimdienst FSB und vom mächtigen Ermittlungskomitee haben in den vergangenen Wochen ihren Zorn darüber geäußert, dass sie in Tschetschenien nichts ausrichten können.

Während Kadyrow die Unruheregion im Kaukasus brutal im Griff hält, sind Polizei, Geheimdienst und Ermittlungskomitee Putins Werkzeuge gegen Oppositionelle in Moskau, Petersburg, Nowosibirsk und anderswo. Sie sorgen dafür, dass der Politiker Alexej Nawalny mit immer neuen Prozessen überzogen wird und dass auch noch drei Jahre nach den Massendemonstrationen gegen Putins Rückkehr in den Kreml Menschen angeklagt werden, weil sie an Rangeleien mit Polizisten beteiligt gewesen sein sollen.

Rivalität ist nichts Außergewöhnliches im Machtkonstrukt des Kremls. Sie ist sogar in gewissem Maße erwünscht, garantiert sie doch Putins Rolle als oberster Schiedsrichter. Aber in diesem Konflikt hat es bereits mehrere Tote gegeben. Unterschiedliche Einheiten der russischen Sicherheitskräfte haben aufeinander geschossen. Und wie eine Schlichtung aussehen könnte, ist nicht abzusehen. Seit Wochen vermeidet Wladimir Putin es, sich klar zu positionieren.

Mächtige Geheimdienste und skrupellose Statthalter, die dem Präsidenten ergeben sind und jede verdächtige Regung im Volk hart verfolgen, können ein Land für eine gewisse Zeit stabil halten. Wenn der Schiedsrichter irgendwann einen Fehler macht oder Schwäche zeigt, werden sie jedoch leicht zum Risiko.

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SZ vom 28.04.2015/fued
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