Süddeutsche Zeitung

Russland:Putins Höhenflug über den murrenden Massen

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Ein "Russland ohne Putin" ist fern wie eh und je. Die politische Elite schart sich um den Präsidenten, der jetzt sogar einige solide Wirtschaftsdaten im Köcher hat. Doch was nach Stabilität aussieht, ist eher ein kurzfristiger Pyrrhus-Sieg. Denn es mangelt an Fortschritt - und in der Bevölkerung schlummert die Unzufriedenheit.

Ein Kommentar von Frank Nienhuysen

So schnell streckt Wladimir Putin die Waffen nicht: Mit dem prophezeiten Weltuntergang rechnet er erst in viereinhalb Milliarden Jahren, und nach möglichen Gesundheitsproblemen gefragt, die seinen Gegnern nutzen könnten, sagte er gelassen auf der Jahrespressekonferenz: "Darauf sollten Sie nicht warten." Russlands Präsident fühlt sich sichtlich als Herr der Lage.

Ein Jahr nach Beginn der Protestwelle in Russland endet das Jahr für den Präsidenten weitaus besser, als er zu Beginn erwarten durfte. Ein "Russland ohne Putin", wie Zehntausende Demonstranten skandierten und erhofften, ist fern wie eh und je. Die politische Elite schart sich wieder um Putin, und der hat jetzt sogar noch einige solide Wirtschaftsdaten im Köcher. Doch was nach Stabilität aussieht, ist eher mangelnder Fortschritt, mehr ein kurzfristiger Pyrrhus-Sieg denn ein umfassender Erfolg.

Seit Putins Rückkehr in den Kreml warten viele Russen auf Signale für eine Erneuerung des Landes. Doch sie kommen nicht. Die Abhängigkeit des Landes von seinen Öl- und Gasressourcen ist ungebrochen, und der Wunsch vieler Russen nach demokratischen Reformen wird von der Regierung nur theoretisch begrüßt. Praktisch wacht der Staat wie ein Gralshüter über Gesellschaft und Politik, über Wirtschaft und Wissenschaft. Und er zeigt wenig Interesse, daran etwas zu ändern. Im Gegenteil. Er gibt den Menschen nicht mehr Freiheiten, er nimmt sie ihnen.

Repressive Werkzeuge zum Machterhalt

Putin mag bestreiten, dass Russland ein autoritärer Staat sei. Doch der Staat nutzt repressive Werkzeuge, mit denen er seine Macht stützt. Die Verschärfung des Versammlungsrechts, das "Agentengesetz", der verstärkte Zugriff auf das Internet und das harte Vorgehen gegen die Führer der Opposition taugen dazu, die Menschen zu verunsichern. Dass die Massen zuletzt fernblieben bei den Straßenprotesten, liegt deshalb nur zu einem Teil an ihren enttäuschten Hoffnungen, den unklaren Zielen in der Oppositionsbewegung und ihren dürftigen Erfolgen.

Und vermutlich noch weniger an einer neuen Zufriedenheit mit der politischen Führung. Denn Putins Popularitätswerte waren merklich zurückgegangen, ehe er zuletzt mit der geballten Aufdeckung von Korruptionsfällen wieder punkten konnte. Ein Aufbruch aber ist all dies nicht.

Russland fehlen politischer Wettbewerb, eine starke Opposition, das Ringen um Kompromisse. In der Duma, der unteren Parlamentskammer, sind die formellen Oppositionsparteien wieder handzahm wie einst, und den echten Diskurs mit der Gesellschaft scheut die Staatsmacht. So werden Reformen verschleppt, andere wiederum hastig durch die Gremien gepeitscht. Eine Welle der Empörung etwa rollt durch das Riesenreich, seitdem debattenlos die Erneuerung des Hochschulsystems beschlossen wurde. Die Bildungselite höhnt über das Ministerium, Studenten streiken. Nun wird erneut an der Reform herumgewerkelt. Die Wucht der Straßenproteste ist zwar abgeflaut, doch zu sicher sollte sich die russische Führung deshalb nicht sein. Unzufriedenheit schlummert in der Bevölkerung nach wie vor.

Patriotismus als einende Klammer

Putin spürt dies, und vielleicht auch deshalb setzt Moskau auf eine Doppelstrategie: auf der einen Seite auf verschärfte Gesetze, auf juristische Ermittlungen gegen wichtige Oppositionelle wie Alexej Nawalny oder Sergej Udalzow; auf der anderen Seite setzt die Regierung Signale wie den verstärkten Kampf gegen staatliche Korruption. Das aber reicht kaum aus, um den murrenden Teil der Bevölkerung hinter sich zu bringen.

Wie sehr der Präsident ein Mittel gegen den Zerfall der Gesellschaft braucht, zeigt sein Versuch, den Patriotismus als einende Klammer zu beschwören. Das jüngste Verbot von Adoptionen an Amerikaner ist weit mehr als eine Antwort auf das sogenannte Magnitskij-Gesetz in Washington, das einigen russischen Funktionären die Einreise in die USA verwehrt. Es ist auch die Botschaft eines stolzen Staates, der sich gekränkt fühlt, der heimzahlen will, und der schnelle Lösungen sucht statt anstrengende Kompromisse. Dass das Gesetz bereits im Parlament war, als die Gesellschaft erst darüber erregt zu debattieren begann, wäre bei echtem politischen Wettbewerb schwer vorstellbar.

Nur wenn Russland sich öffnet, statt sich zu verschließen, wird es schneller vorankommen, sogar wirtschaftlich. Warum Russland nicht die Mongolei ist, fragte provokant ein russischer Ökonom und Soziologe in einer Moskauer Zeitung. Und gab eine interessante Antwort: Das rasante Wachstum bei Russlands Nachbarn sei nicht mit "Stabilität" zu erklären, sondern mit Demokratie. Bleibt diese aus, stärkt dies vielleicht die politische Führung in Moskau, aber es schwächt Russlands Fortschritt.

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Quelle:
SZ vom 21.12.2012
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