Süddeutsche Zeitung

Russland:"Es gibt nur einen wirklichen Wähler, und der heißt Wladimir Putin"

Lesezeit: 4 min

Von Silke Bigalke, Sankt Petersburg

Dafür, dass Wladimir Bortko aus dem Filmgeschäft kommt, war sein Auftritt wenig überzeugend. Über Monate hatte er in Sankt Petersburg den Kandidaten für die Kommunistische Partei gespielt. Nun erklärte er in einer Talkshow, er wolle doch nicht antreten für das Gouverneursamt in Russlands zweitgrößter Stadt. Er begründete dies mit drohender Wahlmanipulation. Wahrscheinlicher ist, dass der Kreml das Risiko nicht eingehen wollte: Bortkos Umfragewerte waren wohl zu gut. Der bekannte Regisseur hätte den Kreml-Kandidaten Alexander Beglow womöglich in eine zweite Runde gezwungen.

Für den bleiben nur noch zwei Herausforderer übrig, eine von ihnen ist Nadeschda Tichonowa, Abgeordnete in der gesetzgebenden Versammlung von Sankt Petersburg. Sie schlägt ein Treffen im Nobelhotel nebenan vor. "Bortko", sagt sie kopfschüttelnd: Obwohl der kommunistische Kandidat ihr Konkurrent war, ist sein Rücktritt eine schlechte Nachricht.

Nun werden wohl weniger Menschen zur Wahl kommen. In vielen russischen Regionen werden am Sonntag Kommunalräte, Stadtparlament, Gouverneure gewählt. Vorigen Herbst ging dieser Sammelwahltag nicht gut für die Regierung aus, mehrere ihrer Kandidaten verloren überraschend. Dieses Jahr geht der Kreml scheinbar kein Risiko ein.

In Moskau dürfen bekannte Oppositionspolitiker wegen angeblicher Formfehler nicht für das Stadtparlament antreten, seit Wochen wird protestiert. In Petersburg zieht sich der stärkste Herausforderer plötzlich aus dem Gouverneursrennen zurück. Die Regierung will den Anschein demokratischer Wahlen erhalten, aber zugleich das Ergebnis vorherbestimmen. Ein Balanceakt, der kaum noch gelingt.

Die Kandidaten der Parlamentsparteien werden zugelassen, die anderen nicht

Nadeschda Tichonowa tritt für die Partei Gerechtes Russland an. Sie gehört zu den Parteien, die im nationalen Parlament sitzen und sich der Regierung nicht in den Weg stellen, eine Art loyale, berechenbare Opposition. Tichonowa weiß, dass sie nur mit dem Segen der Regierungspartei Einiges Russland kandieren kann und spricht das offen an. "Sie müssen ja Wahlen abhalten", sagt sie. "Und dafür brauchen sie Konkurrenz." Die Kandidaten der drei Parlamentsparteien hätten sie zugelassen. "Aber die anderen, die außerhalb des Systems sind, nicht."

Sie selbst brauchte 155 vom Notar beglaubigte Unterschriften von anderen Abgeordneten für ihre Kandidatur. In Russland verhindern Gesetze wie dieser sogenannte Munizipalfilter eine unabhängige Opposition. Tichonowa sagt, sie möchte diesen Filter abschaffen, das "Machtmonopol" der Regierungspartei brechen. Sie weiß, dass sie dazu kaum kommen wird. Trotzdem wirbt sie nun um Bortkos Wähler. Deswegen, sagt sie, trage sie einen roten Wollumhang über einem dunkelblauen Kleid - rot für die Kommunisten.

"Bortko wurde dazu aufgefordert zurückzuziehen", sagt der Politikwissenschaftler Wladimir Gelman, er vermutet Druck von der Regierung. Die hatte wenig Glück mit ihrem Kandidaten: Beglow wurde im Herbst 2018 zum Gouverneur; sein Vorgänger hatte sich unbeliebt gemacht, weil er sich wenig um die Stadt, aber sehr um die Belange der russisch-orthodoxen Kirche kümmerte. Dieser wollte er sogar die Isaaks-Kathedrale im Herzen der Stadt überlassen, was zu Protesten führte.

Sein Nachfolger Beglow wird nun für seine merkwürdigen PR-Auftritte verlacht. Als Petersburg im Schnee versank, griff der Gouverneur selbst zur Schaufel. Seine eingeschneiten Bürger ärgerten sich, dass ihm nichts Besseres einfiel. "Beglow hat viele Fehler gemacht", sagt Gelman. "Aber es gibt nur einen wirklichen Wähler, und der heißt Wladimir Putin."

Am selben Tag, an dem Beglow im Amt bestätigt werden soll, wählen die Sankt Petersburger ihre Vertreter in mehr als 100 Stadtbezirken. Auch dort testet man nun aus, wie viel Opposition möglich ist. Für den Heimatbezirk von Pawel Tschuprunow gilt: gar keine. Er tritt für die Partei Gerechtes Russland von Nadeschda Tichonowa an. Nicht, weil er deren Programm gut findet, sondern um sich die beinahe aussichtslose Sammlung Tausender Wählerunterschriften zu ersparen.

Sein Bezirk heißt Tschornaja Retschka, schwarzer Fluss, dort sitzt der 26-Jährige im Café vor einem Becher grünen Tee. Neben seinem Stuhl steht der Rucksack mit allen Dokumenten für seine Kandidatur. Wenige Tage vor der Wahl hofft er immer noch, zugelassen zu werden.

Falsche Warteschlange vor der Wahlkommission

Sein langer Weg dorthin begann damit, dass die Wahlkommission für seinen Distrikt nicht zu finden war, nirgendwo Adresse oder Öffnungszeiten angegeben hatte. Als er dann vor der richtigen Tür stand, stieß er jeden Tag auf eine lange Schlange, oft mit denselben Gesichtern. Falsche Kandidaten, vermutet Tschuprunow, die den Weg versperren sollten. Einmal ging er schon um vier Uhr früh los, doch die Schlange war schon da. Er hat sich bei Gericht beschwert, wandte sich an die Medien. Schließlich nahm die Kommission seine Papiere entgegen. Tschuprunow zeigt die Bestätigung der Kommission dafür, was er alles abgeliefert hat. Doch nun heißt es, dass Unterlagen fehlten - trotz Quittung.

Tschuprunow ist 2011 zum Studium nach Petersburg gezogen, ist in der Jugendbewegung Wesna, "Frühling", die auch die Wahlen beobachten will. Er möchte in den Kommunalrat gewählt werden. Dort wird über den lokalen Haushalt entschieden, über Parks und Spielplätze. "Wenn ich euer Kandidat werde, will ich Videoaufnahmen unserer Sitzungen machen", steht auf seiner Visitenkarte. Er verspricht Transparenz. Dafür muss er es auf den lokalen Wahlzettel schaffen, bisher stünden dort nur Kandidaten von Einiges Russland, sagt er. Längst hat das Bezirksgericht entschieden, dass er registriert werden muss, doch die Wahlkommission ignoriert das.

Nicht in jedem Bezirk sieht es so schlecht aus. "Trotz des Drucks gibt es eine ordentliche Zahl unabhängiger Kandidaten", sagt Politikwissenschaftler Gelman. Bezirkswahlen bekommen selten viel Aufmerksamkeit. Doch die Unzufriedenheit mit dem Status quo, sagt er, lasse das Interesse der Menschen an Politik wachsen.

Bei der Gouverneurswahl will Pawel Tschuprunow für Nadeschda Tichonowa stimmen, weil sie sich der Opposition zumindest nicht in den Weg stelle. "Meiner Meinung nach sind das alles falsche Kandidaten", sagt er. Doch aus Protest zu Hause bleiben nützt nichts. Die Wahl ist gültig, egal wie niedrig die Beteiligung ausfällt.

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Quelle:
SZ vom 06.09.2019
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