Russland:Was sich der Kreml unter Sicherheit vorstellt

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Vorsorge für den Ernstfall: Zwei ukrainische Soldaten befestigen in dem Ort Zolote eine Stellung. (Foto: Brendan Hoffman/Getty Images)

Russland will die Nato aus Osteuropa zurückdrängen und fordert von den USA, einen Beitritt der Ukraine und weiterer Staaten zu verhindern. Der Dialog soll trotzdem weitergehen.

Von Silke Bigalke, Moskau, und Paul-Anton Krüger, Berlin, Berlin/Moskau

Russlands Präsident Wladimir Putin hat den Zusammenbruch der Sowjetunion einmal als "größte geopolitische Katastrophe des vergangenen Jahrhunderts" bezeichnet. Jetzt will er zumindest Russlands Einfluss auf dem Gebiet der früheren UdSSR wieder herstellen. Er möchte die Nato aus diesem Gebiet zurückdrängen und jede Erweiterung und sogar Militärkooperation des westlichen Verteidigungsallianz mit Staaten aus dem Kosmos des untergegangenen Sowjetreichs ausschließen.

Das geht aus den Entwürfen von zwei Sicherheitsabkommen hervor, die Vizeaußenminister Sergej Rjabkow am Freitag vorgestellt hat. Einen Vertrag will der Kreml bilateral mit Washington schließen, den anderen mit der Nato. Die Dokumente hatte Rjabkow am Mittwoch der US-Diplomatin Karen Donfried in Moskau übergeben; sie unterrichtete am Donnerstag die Nato-Botschafter in Brüssel. Schon jetzt ist klar: In dieser Form sind beide Verträge sowohl für Washington als auch für die anderen Nato-Alliierten unannehmbar.

Diplomaten der Nato in Brüssel verwiesen darauf, dass die Verbündeten eigene Sicherheitsbedenken angesichts des Verhalten Russlands hätten, nicht zuletzt wegen des Truppenaufmarsches an der Grenze zur Ukraine. Diese müssten ebenso in Anrechnung gebracht werden. Auch müssten die "Kernprinzipien und grundlegenden Dokumente der Europäischen Sicherheit" berücksichtigt werden, wie es in einer Stellungnahme des Nordatlantikrates heißt. Dazu zählt, dass jedes Land seine Bündnisse frei wählen kann. Auch sei ein Dialog mit Russland "nur in Abstimmung mit den europäischen Nato-Partnern möglich".

Keine Ausdehnung, keine Kooperationen mit ehemaligen Sowjetstaaten

Seit Wochen schon fordert Moskau im Kontext der Ukraine-Krise Sicherheitsgarantien, nun hat der Kreml ausbuchstabiert, was er darunter versteht: Die USA sollen sich dazu verpflichten, die weitere Ausdehnung der Nato nach Osten zu verhindern und die Aufnahme weiterer Staaten auszuschließen, die früher zur Sowjetunion gehörten, einschließlich der Ukraine und Georgien. Auch verlangt Russland, dass die USA keinerlei Militärkooperation mit früheren Teilstaaten der UdSSR eingehen, noch Stützpunkte dort etablieren oder militärische Infrastruktur nutzen darf.

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Im russischen Vertragsentwurf würden Moskau und Washington einander zudem versprechen, nichts zu unternehmen, was die Sicherheitsinteressen des anderen berühren könnte - ohne dies weiter zu definieren. Die Stationierung von Waffensystemen soll auf das jeweils eigene Territorium beschränkt sein sowie Gebiete, die außerhalb der Reichweite der Gegenseite liegen. Gemeint sind vor allem Raketen, Marschflugkörper, Kriegsschiffe und strategische Bomber. Gemünzt ist das sowohl auf die Ostsee, als auch auf die Schwarzmeerregion, wo Moskau seit Monaten über die Präsenz von US-Kriegsschiffen und Luftpatrouillen klagt.

Das Dokument für die Nato geht noch weiter: Moskau fordert von der Allianz, ihre Truppen hinter die Linien vom Mai 1997 zurückzuziehen. Damit wäre eine Stationierung von Nato-Einheiten auf dem Gebiet des früheren Warschauer Paktes ausgeschlossen. Das beträfe Polen, die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, Rumänien, Ungarn, Tschechien und die Slowakei. Ebenso dürfte die Nato keine Soldaten nach Albanien und auf das Gebiet des früheren Jugoslawien entsenden, die blockfrei waren. Der Allianz wären künftig auch jegliche militärischen Aktivitäten in der Ukraine, Osteuropa, dem Südkaukasus und Zentralasien untersagt.

Die Nato hat 2008 der Ukraine und Georgien einen Beitritt in Aussicht gestellt und pflegt Kooperationen etwa in Form von Ausbildungshilfen und der Unterstützung von Reformen im Sicherheitsbereich. Die Ukraine erhält von einzelnen Nato-Staaten und im geringen Umfang auch über Strukturen der Allianz defensive Waffen. In der 1994 ins Leben gerufenen "Partnerschaft für den Frieden" kooperiert die Nato mit 20 Staaten, die der Allianz nicht angehören, unter ihnen EU-Länder, aber auch zentralasiatische Staaten.

Die USA sollen ihre Atomwaffen abziehen, auch aus Deutschland

Russland fordert zudem, dass alle Atomwaffen auf das Territorium der USA zurückgezogen werden, was einen Abzug der taktischen US-Sprengköpfe bedeutete, die im Rahmen der nuklearen Teilhabe der Nato in Deutschland und anderen Bündnisstaaten stationiert wurden. Auch verlangt Moskau, dass keine nuklearen Mittelstreckenwaffen in der Reichweite der Gegenseite stationiert werden dürfen. Russland könnte nach dieser Formel derartige Waffen behalten und im asiatischen Landesteil stationieren.

Russland hat nach einhelliger Überzeugung aller Nato-Staaten den INF-Vertrag zum Verbot nuklearer Mittelstreckenwaffen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern durch die Entwicklung eines Marschflugkörpers gebrochen; die USA hatten ihn daraufhin gekündigt. Während die Nato bislang keine Pläne zur Stationierung solcher landgestützter Waffensysteme in Europa verfolgt, hat Russland laut der Nato das fragliche Waffensystem SSC-8 mit einer geschätzten Reichweite von 2000 Kilometern in der Truppe eingeführt und im an die Nato-Staaten grenzenden Militärbezirk West stationiert.

Der Kreml macht nun Druck. Von russischer Seite aus könne man Gespräche über diese Dokumente gleich morgen beginnen, sagte Rjabkow. Die USA und die Nato müssten "nur noch unterschreiben, das kann man innerhalb von ein paar Tagen tun". Darauf angesprochen, dass dieser Vorschlag wohl kaum akzeptabel sei, sagte Rjabkow, er glaube, dass die Situation in Europa und Eurasien heute "sehr anders ist als früher". Die "Kollegen auf der anderen Seite" sollten sich "von der Vergangenheit lösen" und die Beziehungen zwischen Russland und den USA ganz neu denken. Das dürfte mancherorts eher als Drohung verstanden werden.

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