Was passiert, wenn das Zentrum der Macht kein Ort und kein Amt ist, sondern eine Person, zeigt sich gerade in Russland. Wladimir Putin sorgt offenbar dafür, dass es weniger wichtig wird, ob er Präsident bleibt. Umso wichtiger erscheint die Tatsache, dass er Wladimir Putin ist. Und dieser Putin will nun in gewohnter Rücksichtslosigkeit Russlands politisches System verändern. Er schafft damit neue Möglichkeiten - für sich selbst. Für Russland aber rückt die Chance auf echten Wandel in weite Ferne.
Viele hatten damit gerechnet, dass Putin in seiner letzten Amtszeit die Verfassung ändern würde. Dieser Schritt kommt nun früher als erwartet und geht in eine andere Richtung als gedacht. Die Klausel, die ihn dazu zwingt, 2024 als Präsident aufzuhören, streicht er nicht. Er verschärft sie wahrscheinlich sogar. Das Amt will er abgeben. Die Macht, die er darin angesammelt hat, vermutlich nicht.
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Sinkender Ölpreis, steigende Inflation, fehlende Investitionen: Russlands Wirtschaft stagniert seit Jahren, das bekommt auch die Bevölkerung zu spüren.
Deswegen verteilt er Einfluss um, weg vom Präsidenten, und schwächt damit potenzielle Nachfolger. Im Kreml soll kein Zweiter wie Putin heranwachsen können, der ihm oder seinem Vermächtnis Konkurrenz machen könnte. Das ist sein Streben seit 20 Jahren: Niemand darf zu stark werden neben ihm. Andere Gremien hat er geschwächt, die Gouverneure in den Regionen, die Kammern des Parlaments, den Premier, die Richter. Alle richten ihr Tun daran aus, was der Kreml will, was Putin will. Oder danach, wie sie seinen Willen interpretieren. Denn Putin ist ein Meister darin, sich vage auszudrücken und Optionen offenzuhalten.
So kann man auch die Änderungen verstehen, die er vorgeschlagen und sehr unkonkret gelassen hat. Die Staatsduma soll, zumindest auf dem Papier, mehr entscheiden dürfen, ebenso wie der Föderationsrat, die zweite Kammer im Parlament. Am stärksten dürfte sich die Rolle des Staatsrats ändern, der den Präsidenten bisher nur berät. In welche Richtung Putin am Ende gehen wird, ist offen. Es geht auch weniger um den konkreten Job und die Aufgabenbeschreibung. Es geht um seine Position als Landeslenker.
Putin weiß, wie es ist, wenn man sich der Verfassung beugen muss. Nach zwei Amtszeiten überließ er Dmitrij Medwedjew für vier Jahre die Rolle des Präsidenten und wurde Premier. Prompt setzte Medwedjew sich auch für Reformen ein, die Putin missfielen. Eilig kehrte er 2012 in den Kreml zurück, beide machten sich durch diese Strategie angreifbar. Ein zweiter Rollentausch erscheint unwahrscheinlich. Wenn dieser 2024 anstünde, wäre Putin 72. Zu alt, um als Premierminister auf die fünfte Präsidentschaft zu warten. Den Reformdruck und das Tagesgeschäft ist er leid, das zeigt seine Ideenlosigkeit in der Innenpolitik. Es müsste ein Posten sein, auf dem er über alledem schwebt. Viele tippen auf den Staatsrat, dessen Aufgaben schwer greifbar sind und sich daher leicht umformulieren lassen. Putin will die Rolle des Gremiums ausweiten, das bisher der Präsident leitet. Auch diese Regel müsste er ändern, um die Brücke nach 2024 zu bauen.
"Putin für immer", so hatten manche seine Rede verstanden, etwa der Ex-Premierminister Michail Kassjanow. Dass Putin sagte, man müsse den "Wechsel derer, die an der Macht sind", sichern, heißt leider gar nichts. Entscheidend ist, was er gemeint hat. Darüber rätselt nun das Land. Was Putin möchte, ist leider ausschlaggebender als die Verfassung.