Die russische Hauptstadt erlebt den wärmsten Dezember seit mehr als 130 Jahren. Für die Weihnachtsdekoration musste sogar künstlicher Schnee nach Moskau geschafft werden - das sonst Unsummen dafür ausgibt, Straßen vom Schnee zu räumen. Und auch wenn der Kreml den Klimawandel selten thematisiert, rechnet er für eines seiner wichtigsten Projekte längst mit wärmerem Wetter: Er möchte die russische Arktis besser erschließen, stärker nutzen und kontrollieren. Vor allem möchte Russland sich dort einen strategischen Vorteil sichern.
Während sich die Moskauer im Internet über die ungewöhnliche Schneeknappheit amüsierten, unterschrieb Regierungschef Dmitrij Medwedjew Ende Dezember den neuen Arktis-Plan. Mit seiner Hilfe möchte die russische Regierung die Nordostpassage bis 2035 ausbauen, den Seeweg durch den Arktischen Ozean, der an der russischen Nordküste entlangführt. Es ist ein Gebiet, welches das Eis des Nordpols früher nahezu undurchdringlich machte. Nun gibt das Tauwetter Küsten frei, es lässt Länder quasi näher aneinanderrücken und verändert geopolitische Überlegungen. Es geht um Ressourcen, um Fisch, Erdöl, Gas, Zink, Uran und seltene Erden. Es geht auch um Handel.
Nicht nur Russland hat das erkannt. Donald Trumps bizarres Anliegen, Grönland zu kaufen, hat einen gar nicht so abwegigen Hintergrund. Die USA könnten die Insel gut gebrauchen, als Quelle für Bodenschätze und als arktischen Stützpunkt. China bezeichnet sich neuerdings als "eine fast arktische Nation", obwohl Peking ziemlich weit weg liegt vom Polarkreis.
In Russland hatte bereits Peter der Große das arktische Territorium kartografieren lassen. Seit 2007 steckt die russische Flagge am Nordpol im Meeresgrund, rostfrei aus Titan. Ein Symbol für einen Anspruch. Russland investiert wie kein anderes Land in seine arktische Infrastruktur, rüstet sein Militär dort auf, baut Häfen und erneuert Infrastruktur, die nach der Krise der sowjetischen Wirtschaft zerfallen ist.
Ein Zehntel aller Investitionen in Russland fließen derzeit in die Arktis, sagte Präsident Wladimir Putin bei einer Arktis-Konferenz im April in St. Petersburg. Damals kündigte er den 2035-Plan für die riesige Region an. Dabei scheint sich der Kreml derzeit auf die Nordostpassage zu konzentrieren. Die Route könnte Europa mit Asien verbinden und für Handelsschiffe eine Alternative zum Suezkanal bieten.
Die Nordostpassage spart also Zeit und Geld, jedenfalls theoretisch. Russlands Vorteil: Der Großteil der Strecke liegt innerhalb der russischen Wirtschaftszone, wer sie befahren möchte, braucht die Zustimmung der Behörden, muss sich an russische Regeln halten und häufig russische Eisbrecher um Hilfe bitten. Außenminister Sergej Lawrow hat es einmal so formuliert: "Die Nordostpassage ist Russlands nationale Transportarterie." Die Idee, dort eine Art internationale Zone mit gleichen Rechten für alle zu schaffen, schmetterte er ab: "Man kommt in ein Land, und hält sich an die Regeln dort."
Nun müssen die Schiffe nur noch kommen. Doch bisher ist die Route auch in den eisfreien Monaten von August an beschwerlich. 2018 haben laut russischen Behörden etwa 800 Schiffe die Durchfahrt beantragt. Fahren können sie dort nur mit Eisklasse, also mit verstärktem Rumpf, und meist in Begleitung eines Eisbrechers. Trotzdem hat Putin ein ambitioniertes Ziel ausgegeben: 80 Millionen Tonnen Fracht will er bis 2025 über diese Route schicken.
Bisher transportieren die Eisbrecher vor allem Flüssiggas nach Europa und China. Die Nordostpassage profitiert dabei von einem weiteren arktischen Großprojekt: Auf der russischen Halbinsel Jamal produziert das russische Unternehmen Novatek seit 2017 Flüssigerdgas, mit Beteiligung aus Frankreich und China. Putin weiß, dass Russland auf Partner angewiesen ist, um dieses schwer durchdringbare Gebiet zu erschließen. Bei der Arktiskonferenz benutzte er kein Wort so häufig wie "Kooperation". Und meinte dabei wohl: unter russischer Leitung.
Der neue Plan, den Medwedjew Ende Dezember veröffentlich hat, sieht neue Eisbrecher vor. Insgesamt 13 sollen bis 2035 in der russischen Flotte fahren. Außerdem werden weitere Schiffe gebaut, darunter für die Seerettung. Ein Problem auf der Route ist, dass es zu wenige Häfen gibt, in denen große Handelsschiffe anlegen könnten, um Ladung aufzunehmen oder abzuladen und wo sie gewartet werden könnten. Die Arktis ist dünn besiedelt, die Wege sind weit, die Versorgung schwierig. Deshalb sollen neue Eisenbahntrassen durch den Norden führen, auch bis zur Küste. Im August hat der staatliche Konzern Rosatom ein schwimmendes Atomkraftwerk von Murmansk über die Nordostroute bis nach Pewek geschleppt, 6000 Kilometer durch den Arktischen Ozean. Dort soll das AKW den Reaktor an Land ersetzen, inzwischen ist es ans Netz angeschlossen. Das Kraftwerk ist viel zu groß für die nur 5000 Einwohner. Es soll also auch demonstrieren, was technisch möglich ist.
