Russland:Präsident von Putins Gnaden

Russland: Eine Stadt zum Vorzeigen: Die Kul-Scharif-Moschee, eine der größten in Europa, wurde auf dem Gelände des Kasaner Kremls gebaut.

Eine Stadt zum Vorzeigen: Die Kul-Scharif-Moschee, eine der größten in Europa, wurde auf dem Gelände des Kasaner Kremls gebaut.

(Foto: Denis Tyrin/AP)

Die boomende Republik Tatarstan, einst mit Sonderrechten ausgestattet, bangt um seine letzten Symbole.

Von Frank Nienhuysen

Er ist ein russischer Präsident, und er möchte es gern bleiben. Rustam Minnichanow hat die Staatsangehörigkeit mit Wladimir Putin gemein - und eine Amtsbezeichnung, die niemand sonst genießt im größten Flächenstaat der Welt. In seiner Republik darf Minnichanow sich Präsident nennen: Präsident von Tatarstan. Das ölreiche und recht wohlhabende Gebiet etwa 800 Kilometer östlich von Moskau hat gewisse Sonderrechte in Russland, ausgehandelt erstmals in den Neunzigerjahren, als der russische Staat verarmt war, politisch schwach, und im Kreml noch Boris Jelzin regierte.

Damals hatte sich die Mehrheit der Bevölkerung in einem Referendum für die Unabhängigkeit ausgesprochen, was Moskau mit einem Deal aber noch abbiegen konnte. Tatarstan erhielt unter anderem das Recht auf eigene Steuereinnahmen, die Bodenschätze, auf die Ausgabe zweisprachiger Pässe und auf einen Präsidententitel. In Tschetschenien lässt sich der mächtige Ramsan Kadyrow, um Moskau zu schmeicheln, schon seit Jahren nur noch mit Oberhaupt anreden, weil ein Präsidentenamt allein Putin gebühre; in Tatarstan aber ist der Präsident geblieben. Doch das könnte sich nun ändern. Die Republik muss um ihre letzten Privilegien fürchten.

Der neueste, seit zehn Jahren gültige Vertrag zwischen Moskau und der Republikhauptstadt Kasan läuft in den nächsten Tagen aus, und die russischen Medien berichten, dass Moskau ihn nicht mehr verlängern wolle. Vor der russischen Präsidentenwahl im März könnten sonst andere Regionen ermuntert werden, ebenfalls eine Sondervereinbarung mit Moskau zu fordern, schrieb die Zeitung RBK. Offiziell gab es von der russischen Führung in der Causa Tatarstan noch keine Stellungnahme.

Viel ist von den einstigen Sonderrechten in der Praxis ohnehin nicht geblieben. Im auslaufenden Vertrag sind neben wirtschaftspolitischen Kontakten mit anderen Staaten die Souveränitätsrechte weitgehend auf Symbole beschränkt, vor allem die tatarische Sprache erhält darin neben der russischen großes Gewicht. Der Kreml hat seit Putins Amtsantritt die Kontrolle über die Regionen an sich gezogen, politische Ausnahmerechte sind verschwunden. Was zählt, ist vor allem Loyalität zu Moskau. Aber die tatarischen Abgeordneten und ihr Regierungschef wollen die Republik auch künftig wenigstens mit einem Präsidententitel geschmückt sehen. In einem Brief an Putin bitten sie um einen weiteren Vertrag, da dieser bisher "überzeugend die Lebendigkeit des russischen Föderalismus bewiesen hat".

Bald soll eine Retortenstadt für Hightech entstehen, eine Art russisches Silicon Valley

Tatarstan, in dem etwa vier Millionen Menschen leben, ist das einzige Gebiet in Russland, das überhaupt noch einen eigenen Vertrag mit dem Zentrum hat. Auf ihm, so argumentieren die Abgeordneten, gründe auch der Erfolg. Kasan ist eine der reichsten Städte in Russland, und das mehrheitlich muslimische Tatarstan gilt in Russland als Inbegriff religiöser Toleranz, als Zentrum des gemäßigten Islam - trotz des wachsenden Fundamentalismus und diverser Anschläge in den vergangenen Jahren. Die türkis-weiße Kul-Scharif-Moschee wurde vor zwölf Jahren als eine der größten Moscheen Europas und mit viel interreligiöser Symbolik gebaut, nämlich innerhalb der historischen Kremlmauern von Kasan. Schon immer hat die Stadt für Russland strategische Bedeutung gehabt. Als Iwan der Schreckliche Kasan im 16. Jahrhundert eroberte und dem russischen Reich zuschlug, war dies einer der Schlüssel auf dem Weg zur Großmacht.

Die Republik profitiert von ihrer strategischen Lage auf dem Weg von Moskau Richtung Sibirien, von der Energie-Industrie und ihrer gehobenen Infrastruktur, dem Eisenbahnnetz, der Nähe zur mächtigen Wolga. In Tatarstan soll innerhalb der nächsten 15 Jahre die Retorten-Musterstadt Innopolis entstehen, eine Art Hightech-Cluster, auf den schon mal gern das Etikett russisches Silicon Valley gepappt wird. Tatarstan gilt als einer der attraktivsten Investitionsstandorte Russlands, das seine kulturelle Nähe zur Türkei nutzt, aber auch enge Bande etwa mit Deutschland hält. Erst vor wenigen Wochen sicherte es sich im Beisein von Horst Seehofer einen Milliardendeal mit Bayerns Linde-Unternehmen über den Bau einer Industrieanlage. Und dass Kasan zu den Sportstätten der Fußball-Weltmeisterschaft im nächsten Jahr gehört, ist für die stolzen Tataren ohnehin eine Selbstverständlichkeit.

Für den liberalen Moskauer Politiker Wladimir Ryschkow ist all das kein Zufall. "Tatarstan ist ein Beispiel dafür, dass eine Region sich besser entwickeln kann, wenn sie etwas mehr Freiheiten hat, Rechte und Möglichkeiten", sagte er dem Radiosender Echo Moskaus. Aber allzu viele politische Freiheiten goutiert das Zentrum auch wiederum nicht, schon gar nicht kurz vor einer wichtigen Wahl. Und in einer Zeit zunehmender Protestbereitschaft. Als im März Tatarstan von einem Bankenskandal erschüttert wurde und Tausende Demonstranten den Rücktritt des Präsidenten forderten, war der Präsident von Tatarstan gemeint. Der Präsident von Russland könnte daraus nun seine Schlüsse ziehen. Ein auslaufender Sondervertrag wäre eine günstige Gelegenheit.

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