Russland:Patriotismus statt Investitionen

Syrian President al-Assad makes surprise trip to Moscow

Der syrische Machthaber Baschar al-Assad (links) und sein engster Verbündeter, der russische Präsident Wladimir Putin, bei ihrem Treffen im Kreml in Moskau am 20. Oktober 2015.

(Foto: dpa)

Wladimir Putin führt Krieg in Syrien und trumpft international auf. Doch den Menschen daheim nützt der Patriotismus nichts: Ihr Lebensstandard sinkt.

Ein Kommentar von Frank Nienhuysen

Jetzt hat er also Baschar al-Assad vom syrischen Schlachtfeld in die feinen Kammern des Kreml gelotst. Wladimir Wladimirowitsch Putin zementiert mit dem Überraschungstreffen in Moskau, wie sehr es ihm darauf ankommt, den bedrängten syrischen Diktator zu stützen, während die USA, Europa, die Türkei und diverse arabische Staaten einen Regimewechsel in Damaskus lieber früher als später herbeiwünschen. Für Putin sind die frischen Bilder auch Dokumente eines neuen außenpolitischen Machtanspruchs: den Lauf im Nahen Osten mitzubestimmen und dabei zugleich dem Westen die Stirn zu bieten. Diese Botschaft kommt auch daheim in Russland bestens an.

Ob beim Atom-Abkommen mit Iran, im Ukraine-Konflikt oder im Syrien-Krieg - Putin redet ein gewaltiges Wort mit. Am Dienstag stellte die russische Armee dazu noch in der Arktis einen riesigen Militärstützpunkt fertig, garniert mit der weiß-blau-roten Trikolore. Wie schrieb der Schriftsteller Nikolaj Gogol einst pathetisch: "Selbst wenn nur ein Bauernhof den Russen bleibt, wird Russland wiederaufleben." Geopolitisch jedenfalls ist Russland nach langer Ohnmacht das Comeback des Jahres gelungen.

Über Wohl und Weh in Syrien streitet Moskau jetzt direkt mit Washington. Genau da wollte der Kreml die Amerikaner schon lange haben, nach all den gefühlten Demütigungen der vergangenen Jahre. Putin steht derzeit vielleicht im Zenit seiner Macht. Denn die Russen tragen die Angriffe in Syrien mit, obwohl ihnen die gestiegenen Preise für Milch und Kartoffeln sehr viel näher am Herzen liegen dürften als die Bredouille, in der sich gerade ein Herrscher in Damaskus befindet.

Die Mission im Ausland überdeckt viele Nöte im Inneren - wie lange noch?

Der heimische Enthusiasmus ist trotzdem immens. Das liegt sicher auch, aber nicht nur an der stillen Sehnsucht nach neuer Größe. Es hat auch sehr viel damit zu tun, dass die staatlichen russischen Medien kontroverse, kritische Debatten kaum zulassen und den Syrien-Einsatz in den Nachrichten mit einem aufwendigen Spektakel begleiten. Sogar der Wetterbericht wurde schon präzise auf die Bedingungen für Russlands Kampfjets im syrischen Luftraum abgestimmt. Bedenklich ist, wie schnell die Russen diesen Stimmungswandel in der Berichterstattung mitmachen: weg von der Ukraine, hin zur neuen Nahost-Mission. Latakia und Aleppo statt Donezk und Luhansk.

Für die Bevölkerung bedeutet diese Verlagerung zwar neue, feurige Heldenberichte. Irgendwann aber dürfte auch die frische Begeisterung über den Syrien-Einsatz ermüden, der die Nation derzeit noch eint. Und was dann? Russlands Mission im Ausland überdeckt derzeit viel von den Nöten im Inneren. Schalten die Menschen den Fernseher aus, sind sie schnell mit der Malaise des Alltags konfrontiert: mit gekürzten Budgets in der Bildung, der Gesundheit, der Infrastruktur.

Der Lebensstandard ist gesunken, die Wirtschaft in der Rezession

Die neuen außenpolitischen Ambitionen sind kostspielig und drohen daheim zur finanziellen Bürde zu werden, sollte der Syrien-Einsatz noch etwas länger dauern. Und damit ist zu rechnen. Russische Leidensfähigkeit ist ein seit Jahrhunderten beschriebener Mythos, und auch jetzt wird sie strapaziert. Der Lebensstandard ist gesunken, die Wirtschaft in der Rezession, Industrieproduktion und Konsumausgaben sind massiv gefallen, und nur mit einer Extraportion Optimismus ist eine Besserung absehbar.

Den aber haben die Russen nicht unbedingt. Die Hälfte von ihnen glaubt, dass die schwersten Zeiten noch bevorstehen. Viele von denen, die können und nicht von der Patriotismuswelle erfasst sind, haben das Land verlassen, weil sie Perspektiven eher anderswo sehen. Dazu gehört trotz aller Tiraden auch Amerika: Nie haben sich mehr Russen für eine Greencard in den USA beworben. All das müsste zu denken geben.

Mozzarella aus Sibirien statt europäischer Investitionen

Russland hat außenpolitisch vielleicht an Gewicht gewonnen, doch Einfluss misst sich nicht allein in Raketensilos und im Vetorecht bei den UN. Wirtschaftlich hat es den Anschluss an die großen Nationen verloren, dabei wollte es doch selber zur führenden Wirtschaftsmacht werden. Wie soll das Land da etwa beim Klimaschutz vorangehen? Das Wiedererstarken der Rüstungsindustrie allein kann die heimische Wirtschaft jedenfalls nicht retten.

Russland fehlt es an Investitionen, technischem Wissen, rechtsstaatlicher Sicherheit. Es müsste antichambrieren, Europas Wirtschaft wartet nur auf eine Gelegenheit, in Russland zu investieren. Stattdessen ist "Importsubstitution" das sperrige Zauberwort, und es meint: Mozzarella aus Sibirien, Käse aus Kaliningrad, Kurbelwellen aus Kolomna. Ausgerechnet in Zeiten des Freihandels zieht sich Russland zunehmend auf sich selbst zurück. Nur: Der Patriotismus, im Äußeren wie im Inneren, hilft der Führung mehr als den Menschen, die sie regiert.

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