Süddeutsche Zeitung

Russland:Nebenjob Denunziant

  • Um die Aufklärungsrate zu erhöhen, bietet das russische Innenministerium seit Kurzem seinen Bürgern eine Prämie für Informationen zu Verbrechen an.
  • Dies gilt aber nur für Fälle, bei denen die Polizei selbst um Hinweise bittet. Um welche Art von Verbrechern es dabei soll, ist noch nicht bekannt.
  • Kritiker fürchten, dass das Ministerium durch die Prämie einen Anreiz schaffen will, auch regierungskritische Bürger ausfindig zu machen.

Von Anzhelika Sauer

Das russische Innenministerium macht seit Neuestem Geldscheine für auskunftsfreudige Bürger locker: Jeder, der Informationen über Verbrecher hat und diese der Polizei mitteilt, kann seit Ende August eine Prämie von umgerechnet 640 bis zu 128 000 Euro bekommen. Allerdings geht es dabei nur um Fälle, in denen die Polizei selbst um Hinweise aus der Bevölkerung bittet. Die Anzeigen werden auf der offiziellen Webseite des Ministeriums veröffentlicht - belohnt wird man, wenn sich die Hinweise als richtig erweisen und der Täter gefasst werden kann. Anonymen Tipps geht die Polizei erst gar nicht nach, die "Informanten", wie die russischen Behörden diese Personen nennen, müssen mit Klarnamen auftreten.

Das russische Innenministerium will so die Aufklärungsquote von Straftaten verbessern, wie das russische Internetportal Mediazona berichtet, das sich mit dem Strafvollzugs- und Justizwesen beschäftigt. Doch einige russische Menschenrechtler sehen in dem neuen Gesetz auch eine Gefahr für die Gesellschaft. Mehr als 20 Millionen Russen leben laut einer Statistik der Rechnungskammer in Armut. Nach Informationen von Wziom, einem russischen Meinungsforschungszentrum, hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung keine Ersparnisse. Der finanzielle Anreiz, Hinweise an die Polizei zu liefern, könnte also bei vielen Russen entsprechend hoch sein. Und das könnte wahllose Denunziationen zur Folge haben.

So ist bislang nicht festgelegt, wen die Polizei mit Hilfe der Bürger dingfest machen möchte, Räuber und Mörder - oder auch Menschen, die regierungskritische Meinungen im Internet vertreten. Die Frage erscheint mehr als angebracht, angesichts der Angaben der Generalstaatsanwaltschaft: Mehr als 1500 Menschen landeten wegen ihrer Aktivitäten in sozialen Netzwerken im vergangenen Jahr im Gefängnis. Für eine Haftstrafe genügt es, regierungskritische Bilder zu speichern, andere zu zitieren oder einen Post zu schreiben. Im Fokus stehen vor allem Oppositionelle, aber auch Atheisten und Feministen.

"Einige Leute wollen jemandem schaden und auf diese Weise auch noch Geld verdienen."

Viele fühlen sich an die Sowjetunion erinnert: Damals waren Denunziationen an der Tagesordnung. Opfer berichten bereits über Fälle von Erpressung im Internet. Zum Beispiel werden sie darauf aufmerksam gemacht, dass sich verbotene Bilder oder Posts auf ihrem Social-Media-Kanal befinden. Ihnen wird gedroht, sie bei der Polizei zu verraten, wenn sie nicht bezahlen oder Nacktfotos von sich zur Verfügung stellen. Darüber berichtete die Online-Zeitung Lenta.ru.

Albert Ptschelinzew, Menschenrechtler und Präsident der überregionalen Bürgerorganisation "Gegen die Korruption", sagt: "Einige Leute wollen jemandem schaden und auf diese Weise auch noch Geld verdienen." Der Experte betont allerdings, das sei der einzige Nachteil des Gesetzes, das Risiko, dass dies zu Korruption von Polizisten führe, sei minimal.

Denis Michailow, der Leiter der Organisation von Alexej Nawalny in Sankt Petersburg, ist da anderer Meinung. Er glaubt, dass die Korruption durch das neue Gesetz zunehmen wird. "Die Leute, die mit der Polizei gutgestellt sind, können auch Informanten sein." Er erinnert an Maria Motuznaja, eine 23-jährige Studentin aus Barnaul. Ihr könnte eine Haftstrafe von bis zu sechs Jahren drohen. Sie wurde von zwei Praktikantinnen aus dem Innenministerium beschuldigt, sich im sozialen Netzwerk VKontakte, dem russischen Äquivalent von Facebook, beleidigend über Schwarze und Religiöse geäußert zu haben. So soll sie diskriminierende Illustrationen von Priestern und Schwarzen geteilt haben. Maria Motuznaja steht vor Gericht, die Anklage lautet: "Beleidigung der Gefühle von Gläubigen."

Michailow vermutet hinter dem neuen Gesetz vor allem eine Methode für die Jagd auf Oppositionelle. "Wenn das Gesetz dabei hilft, Räuber oder Mörder zu verhaften, dann ist das gut. Aber in Russland wird es als Methode der politischen Druckausübung auf die Opposition benutzt", sagt er.

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SZ vom 05.09.2018/ankl
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