Russland:Nawalnys Netzwerk wird als extremistisch eingestuft

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Der Druck auf ihn und seine Bewegung steigt weiter: Kremlkritiker Alexej Nawalny. (Foto: Alexander Zemlianichenko/AP)

Auf einer Stufe mit al-Qaida und den Taliban: Ein Moskauer Gericht verbietet die Organisationen des Kremlkritikers. Mitarbeitern und Helfern drohen mehrjährige Haftstrafen. Selbst wer Geld spendet, könnte vor Gericht kommen.

Von Silke Bigalke, Moskau

Publikum war im Saal nicht zugelassen, angeblich enthielt das Prozessmaterial "Staatsgeheimnisse". Deswegen entschied das Moskauer Stadtgericht am späten Mittwochabend hinter verschlossenen Türen, dass die Organisationen von Alexej Nawalny als "extremistisch" eingestuft werden sollen. Es entsprach damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Diese hatte dem Team des Oppositionellen vorgeworfen, es würde das Land "destabilisieren". Praktisch niemand hatte damit gerechnete, dass das Gericht dem widersprechen würde. Nach der zwölfstündigen Verhandlung kündigten Nawalnys Anwälte sofort Berufung an.

Nawalnys Mitarbeiter selbst hatten nicht mal auf den Prozessbeginn gewartet. Sie reagierten bereits, als der Staatsanwalt im April seinen Antrag einreichte, ihre Organisationen auf die Extremistenliste zu setzen. Dort stehen sie nun gemeinsam mit Terrorgruppen wie al-Qaida und den Taliban, was diesen ganzen Vorgang selbst für russische Verhältnisse bizarr erscheinen lässt. Um Helfer und Mitarbeiter zu schützen, hatte Nawalnys Vertrauter Leonid Wolkow bereits im April das Netzwerk der regionalen Stäbe aufgelöst, also alle lokalen Gruppen von Aktivisten und Lokalpolitikern, die Nawalny unterstützen.

Denn mit der Entscheidung, dieses Netzwerk für "extremistisch" zu erklären, drohen auch allen Mitarbeitern und Helfern mehrjährige Haftstrafen. Selbst wer eine "extremistische" Gruppe unterstützt, ihr beispielsweise Geld spendet, riskiert, vor Gericht gestellt zu werden. Praktisch kann nun sogar jeder, der mit einem Nawalny-T-Shirt über die Straße läuft oder Symbole von dessen Organisation online veröffentlicht, festgenommen werden.

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Unklar ist, was die Entscheidung für Recherchen des Antikorruptionsfonds bedeutet, die bereits veröffentlicht sind - wie etwa das Video "Palast für Putin" über Korruption im engsten Kreis des Präsidenten. Nawalnys Antikorruptionsstiftung, die nun auch als extremistisch gilt, hatte dessen Team bereits vergangenes Jahr offiziell geschlossen, nachdem sie von einem Putin-Vertrauten zu mehreren Millionen Rubeln Schadenersatz verklagt worden war.

Ausschluss von künftigen Wahlen

Vergangenen Freitag, an Nawalnys 45. Geburtstag, hatte Präsident Wladimir Putin ein weiteres Gesetz unterschrieben, das Nawalnys Team zusätzlich einschränkt: Es schließt jeden, der mit einer "extremistischen" Organisation in Verbindung gestanden hat, für mehrere Jahre von Wahlen aus. Das Gesetz ist darauf zugeschnitten, Nawalnys Mistreitern wie der Oppositionellen Ljubow Sobol zu verbieten, bei der Duma-Wahl im Herbst zu kandieren. Theoretisch schließt es aber auch die vielen Tausend Russen als Kandidaten aus, die an Nawalnys Organisationen gespendet oder sie anderweitig unterstützt haben.

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Eine Frage wird sein, ob Nawalnys Team womöglich unter neuem Label weitermachen kann. Etwas Vergleichbares hatte die Organisation "Offenes Russland" versucht, die Michail Chodorkowskij, früher Öl-Oligarch und heute Kremlkritiker im Exil, gegründet hatte und die 2017 zur "unerwünschten Organisation" erklärt worden war. Sie löste sich auf, gründete sich später aber mit neuen Strukturen und unabhängig von Chodorkowskij neu. Es nützte nichts: Obwohl die neue Gruppe formal nicht als "unerwünscht" galt, wurden ihre Mitarbeiter weiterhin verfolgt. Der russischen Justiz ist das Kleingedruckte am Ende wohl egal.

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