Russland:Kritische Bürger auf einer Stufe mit Terroristen

Russland: Die russische Sondereinheit Omon nahm im Januar diesen Mann fest, der in Moskau für den inhaftierten Alexej Nawalny demonstriert hatte.

Die russische Sondereinheit Omon nahm im Januar diesen Mann fest, der in Moskau für den inhaftierten Alexej Nawalny demonstriert hatte.

(Foto: Natalia Kolesnikova/AFP)

Die russische Justiz betrachtet Nawalnys Organisationen als "extremistisch". Betroffen sind viele Menschen, die sich dem Kampf gegen Korruption verschreiben.

Von Silke Bigalke, Moskau

Alexej Nawalny wollte gerne persönlich an der Verhandlung teilnehmen, er hatte einen Antrag gestellt. Dass der Oppositionelle weiterhin in einer Strafkolonie sitzt, wäre kein Hindernis gewesen. Zu anderen Verhandlungen, bei denen Nawalny als Angeklagter vor Gericht stand, war er per Video zugeschaltet worden. Doch nicht, als das Moskauer Stadtgericht am Mittwoch entschied, seine Organisationen als "extremistisch" einzustufen. Nawalny durfte mit dem Argument nicht teilnehmen, es ginge bei bei dem Prozess ja gar nicht um ihn.

Es ging um sein politisches Lebenswerk. Das Urteil betrifft seine Stiftung, die Korruption in Russlands politischer Elite aufdeckt und Filme darüber veröffentlicht. Sie betrifft Nawalnys landesweites Netzwerk aus Lokalpolitikern und Aktivisten, die sich für faire Wahlen einsetzen. Beide stehen jetzt auf der Liste extremistischer Organisationen und werden damit in die Nähe von Terrorgruppen gerückt. Das bedeutet nicht nur, dass ihnen die Arbeit in Russland verboten wird. Es bedeutet auch, dass alle ihre Mitarbeiter, Helfer, Spender und Unterstützer strafrechtlich verfolgt werden können. Um das zu verhindern, haben Nawalnys Mitstreiter dessen Netzwerk bereits vor Wochen aufgelöst.

Der Kreml wollte sich mit der Entscheidung gleich mehrerer Probleme auf einmal entledigen. Nawalnys Antikorruptionsstiftung (FBK) hat immer wieder darüber berichtet, wie sich Mitglieder der Kremlpartei - einschließlich deren Chef und früherer Premier Dmitrij Medwedew - bereichert haben. Mit dem letzten Enthüllungsvideo brachen sie ein unausgesprochenes Tabu und machten Präsident Wladimir Putin und dessen korrupten Bekanntenkreis zum Thema. Das Video "Palast für Putin" erschien, als Nawalny bereits hinter Gittern saß. Die Massenproteste für seine Befreiung fielen dadurch umso größer aus.

Die Gruppe hinter diesem Video gilt nun als "extremistisch" und damit praktisch als unberührbar. "Ich arbeite seit zehn Jahren für den FBK", sagte Georgij Alburow, der auch am Enthüllungsfilm über Putin mitgearbeitet hat, vor dem Urteil. "Ich kann mit 100 prozentiger Sicherheit sagen, ich setze die Arbeit fort."

Die Frage ist nun, wie viele Russen sich abschrecken lassen

Für die Ortsgruppen, die Nawalny im ganzen Land aufgebaut hat, wird das schwieriger vorherzusagen, weil sie viel mehr Menschen umfassen. Diese regionalen Büros unterstützen unabhängige Kandidaten und werben für Nawalnys "Smart-Voting". Sie rufen Wähler dazu auf, in ihren Bezirken für den Oppositionskandidaten mit den größten Chancen abzustimmen. Sie möchten auf diese Weise der Regierungspartei so viele Sitze wie möglich abnehmen. In der Vergangenheit hatten sie damit immer wieder Erfolg.

Nun aber ist dieses Netzwerk aufgelöst. Und jeder, der künftig auf der Straße Flyer mit Nawalny-Logo verteilt, kann festgenommen werden. Jeden, der einen von Nawalnys Team organisierten Protest besucht hat, können die Behörden von den nächsten Wahlen ausschließen. Das allein betrifft eine große Anzahl unabhängiger Oppositioneller.

Zustimmung mit Nawalnys Ideen zu signalisieren, etwa durch einen Kommentar im Internet, wird durch das Urteil riskanter. Und für das "kluge Abstimmen" müssen sich Protestwähler auf einer Seite von Nawalnys Team online registrieren. Eine andere Aktionswebsite ist kürzlich offenbar vom russischen Geheimdienst gehackt worden, der nun Mail-Adressen von Hunderttausenden Nawalny-Unterstützern hat.

Der Oppositionelle selber bleibt bei Durchhalteparolen, die er über Instagram veröffentlichen lässt. Wenn er sich nicht einschüchtern lässt, so hofft er wohl, tun es andere auch nicht. "Wir sind kein Name, kein Stück Papier oder ein Büro", schrieb er nach dem Urteil. "Wir sind eine Gruppe von Menschen, die diejenigen russischen Bürger vereinigt und organisiert, die gegen Korruption, für faire Gerichte und Gleichheit aller vor dem Gesetz sind. Es gibt Millionen davon. Ihr seid das."

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