Süddeutsche Zeitung

Ukraine-Konflikt:Immerhin reden sie

Eine Einigung in der Ukraine-Krise scheint in weiter Ferne zu sein, doch Washington und Moskau bleiben im Gespräch. Außenministerin Baerbock beteuert, der Westen sei auf alles vorbereitet.

Von Silke Bigalke, Moskau, und Paul-Anton Krüger, Berlin

Die USA und Russland wollen ihren Dialog intensivieren. Allerdings sendet der Kreml weiterhin keine Signale der Deeskalation und setzt seinen Truppenaufmarsch im Grenzgebiet zur Ukraine fort. US-Außenminister Antony Blinken sagte am Freitag in Genf nach einem Gespräch mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow, man habe vereinbart, den diplomatischen Prozess fortzusetzen. Washington werde Moskau kommende Woche eine schriftliche Antwort auf das Verlangen nach Sicherheitsgarantien übergeben.

Darin würden Bereiche identifiziert, in denen Verhandlungen denkbar seien, sagte Blinken. Als denkbar gelten Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle oder Transparenzmaßnahmen bei Manövern. Die USA würden aber auch ihre eigenen Bedenken bezüglich des Verhaltens Russlands formulieren und die Grundsätze der europäischen Sicherheitsordnung bekräftigen. Dazu zählen die Wahrung der territorialen Unverletzlichkeit aller Staaten, die Achtung ihrer Souveränität und die freie Bündniswahl.

Lawrow machte deutlich, dass Moskau sein weiteres Vorgehen vom Inhalt dieses Dokuments abhängig machen werde. "Ich kann nicht sagen, ob wir auf dem richtigen Weg sind oder auf dem falschen Weg sind. Das werden wir selbst erst verstehen, wenn uns die schriftlichen Antworten vorliegen", sagte er. Russland verlangt unter anderem, dass die USA ebenso wie die Nato garantieren, keinerlei weitere Mitglieder in die Allianz aufzunehmen. Auch müsse die Nato alle Truppen aus Osteuropa abziehen und die USA müssten in Europa stationierte Atomwaffen auf ihr eigenes Staatsgebiet verlegen.

Nach Beratungen in den Hauptstädten ist laut Blinken ein weiteres Treffen der beiden Außenminister geplant. Die USA seien grundsätzlich auch offen für ein weiteres Gipfeltreffen der Präsidenten Joe Biden und Wladimir Putin. Wenn eine solche Zusammenkunft hilfreich wäre, "dann sind wir voll und ganz darauf vorbereitet, dies zu tun", sagte Blinken. Lawrow äußerte sich in einer separaten Pressekonferenz, Putin sei immer bereit, mit Biden zu sprechen. Allerdings müsse das gut vorbereitet sein.

Blinken nannte das Treffen "offen" und "hilfreich", es sei ohne Polemik verlaufen. Allerdings habe er auch Dinge gehört, mit denen er nicht übereinstimme. "Ich glaube, wir sind jetzt auf einem klaren Weg, was das Verständnis der gegenseitigen Anliegen und Positionen angeht", fügte er hinzu.

Lawrow äußerte sich ähnlich. Der Austausch sei "nützlich", "substanziell" und "offen" gewesen. Zugleich wies er die angebliche "russlandfeindliche Hysterie" zurück. Russland bedrohe niemanden und überfalle kein Land, sagte er mit Blick auf Befürchtungen im Westen, dass ein Einmarsch in die Ukraine bevorstehen könnte. Blinken hielt dem entgegen, man schaue auf das, "was für alle sichtbar sei", und forderte Russland erneut auf, seine Truppen aus grenznahen Gebieten abzuziehen.

Russland verlegte gepanzerte Fahrzeuge, Luftabwehrsysteme und Tausende Soldaten nach Belarus, die dort nach offiziellen Angaben an einem gemeinsamen Manöver Anfang Februar entlang der Grenze der Nato-Staaten Polen und Litauen sowie der Ukraine teilnehmen sollen. Die USA setzten zudem vier Ukrainer auf Sanktionslisten, denen vorgeworfen wird, im Auftrag des russischen Geheimdienstes an der Destabilisierung der Ukraine gearbeitet zu haben.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock rief Russland und die Ukraine zu neuen Gesprächen über die humanitäre Situation in der Ostukraine auf. Sie sei mit Lawrow "übereingekommen, Vorbereitungen zu treffen, um über jeden einzelnen Satz der Minsker Abkommen zu reden", sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Sie erwarte mühsame Gespräche. "Wir werden um jeden Millimeter mehr Sicherheit ringen müssen."

Sie bekräftigte die ablehnende Haltung der Bundesregierung zur Lieferung letaler Waffen an die Ukraine. Jeder Staat habe das Recht auf Selbstverteidigung, auch die Ukraine, sagte Baerbock. "Und wenn andere Staaten bereit sind, Waffen zur Verteidigung zu liefern, ist es nicht an uns, das zu kritisieren." Sie halte es aber nicht für realistisch, mit solchen Lieferungen das militärische Ungleichgewicht umzukehren.

Deutschland sei sich mit seinen Partnern in der Nato, der EU und den G 7 einig, dass "jede neue Verletzung der ukrainischen Grenzen schwere Konsequenzen hätte". Man habe eine lange Liste von Handlungsoptionen identifiziert, "gerade weil wir auf unterschiedliche Szenarien eingestellt sein müssen, von Sabotageakten bis zur Ausschaltung von kritischer Infrastruktur". Bei der Invasion der Krim und dem Beginn des Konflikts in der Ostukraine 2014 habe die russische Taktik niedrigschwelliger Eskalation und hybrider Angriffe den Westen kalt erwischt. "Heute sind wir darauf vorbereitet."

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