Süddeutsche Zeitung

Proteste in Moskau:Rappen um die Demokratie

  • Allen staatlichen Repressionen zum Trotz organisieren die Helfer des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny weiterhin Straßenproteste in Moskau gegen Wahlmanipulationen.
  • Für diesen Samstag ist eine Großdemonstrationen für bis zu 100 000 Teilnehmer genehmigt worden.
  • Das Moskauer Rathaus setzte für das Wochenende kurzfristig das "Meat & Beat"-Festival im Gorki-Park an.
  • Sowohl bei der Demonstration als auch im Gorki-Park sollen bekannte Rap-Musiker auftreten.

Von Paul Katzenberger, Moskau

Hausdurchsuchungen, Festnahmen, strafrechtliche Verfahren: Der russische Staat wendet gerade viele der ihm zur Verfügung stehenden Repressionsmittel gegen die Mitarbeiter des verhafteten Kremlkritikers Alexej Nawalny an, die noch nicht in Gewahrsam genommen wurden. Doch sie rufen weiter zu Massenprotesten in Moskau auf. "Wir arbeiten weiter - Durchsuchungen können uns nicht einschüchtern", schrieb das Team am Freitag an seine Unterstützer. "Es gibt nur eine Antwort auf den Druck der Behörden: noch härter arbeiten."

Zuvor hatte die Polizei das Büro von Nawalnys Anti-Korruptionsfonds durchsucht. Zudem wurden Konten seiner Stiftung sowie zahlreicher Unterstützer eingefroren. Nawalny und sein Team organisieren seit vier Wochen Proteste in Moskau, um faire und freie Wahlen zum Stadtparlament am 8. September zu erzwingen.

An diesem Samstag ist nun eine Kundgebung geplant, für die bis zu 100 000 Teilnehmer angemeldet wurden. Sie wurde von den Behörden zugelassen, weshalb mit weniger Polizeigewalt zu rechnen ist als bei den ungenehmigten Demonstrationen im Moskauer Stadtzentrum an den zwei vergangenen Wochenenden, bei denen mehr als zweitausend Protestierende verhaftet wurden. Allerdings forderten die Veranstalter die Teilnehmer der Demonstration im Anschluss zu gemeinsamen "friedlichen Spaziergängen" auf, die von den Behörden nicht genehmigt wurden. Wer sich an solchen Aktionen beteilige, müsse mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen, hieß es von offizieller Seite.

Die meisten der bisher Festgenommenen wurden rasch wieder freigelassen, doch gegen einige von ihnen erließen die Behörden Haftbefehle, weil sie sich angeblich der Bereitschaftspolizei gewaltsam widersetzt hätten. Gegen elf Beklagte wurden Verfahren wegen der Aufwiegelung zu "Massenunruhen" eröffnet. Auf diesen Straftatbestand stehen Haftstrafen von bis zu acht Jahren.

Am Mittwoch hatte die Moskauer Wahlkommission die Anfechtungen etlicher Oppositionspolitiker niedergeschlagen, die nicht zur Wahl zugelassen worden waren - unter ihnen auch Ljubow Sobol, die sich wegen der Annullierung ihrer Kandidatur durch die Behörden seit dem 13. Juli in einem Hungerstreik befindet. Die Wahlkommission argumentiert, dass die betroffenen Kandidaten keine ausreichende Zahl von gültigen Unterschriften vorgelegt hätten. Diejenigen, die Einspruch erhoben haben, bestreiten das.

Anführer des Protests in Gewahrsam genommen

Nawalnys Team teilte unterdessen in sozialen Medien mit, dass es in weiteren russischen Städten zu Solidaritätsaktionen mit der Großdemo in Moskau am Samstag kommen werde. In 40 Städten von Sankt Petersburg bis Wladiwostok seien Demonstrationen geplant, hieß es.

Nachdem fast alle Anführer der Oppositionsbewegung inzwischen von den Behörden in Gewahrsam genommen wurden, rechnen Beobachter nicht damit, dass die Großdemonstrationen in Moskau gut organisiert sein werden. Zumal einige der Verhafteten, die bis zum heutigen Samstag freikommen sollten, erneut für einige Tage inhaftiert wurden.

Allerdings gelang es den Organisatoren der Demonstration, drei bekannte Bands für einen Liveact zu gewinnen, darunter den Rapper Face und das Rave-Duo IC3PEAK, das Ende vergangenen Jahres von willkürlichen Auftrittsverboten betroffen war.

Auch Jurij Dud, einer der bekanntesten YouTuber Russlands, kündigte sein Kommen an. Seine 2,3 Millionen Follower auf Instagram beschwor er, sich politisch stärker zu engagieren. Die Polizeigewalt in Moskau habe gezeigt, dass jeder, der sich politisch beteilige, Gefahr laufe, einen Schlagstock ins Gesicht zu bekommen. Das sei ein Ergebnis der politischen Trägheit vieler Menschen in den vergangenen Jahren.

Dud hatte sich neben weiteren Prominenten, wie dem Musiker Andrei Makarewitsch und dem Fernsehjournalisten Wladimir Pozner, schon Anfang August für die Proteste ausgesprochen: "Es ist legitim, etwas vom Staat zu verlangen", hatte er gesagt, "etwa faire Wahlen, bei denen die Menschen unter den Kandidaten auswählen können, die sie selbst wollen."

Erneut organisierten die Behörden in Windeseile eine Musikveranstaltung, die am Wochenende im Gorki-Park stattfinden soll. Für das "Meat & Beat"-Festival wurde der Auftritt bekannter Rockbands angekündigt, unter ihnen ebenfalls Rapper wie MC Doni. Das offensichtliche Kalkül dahinter: Manch potenzieller Demonstrant soll dazu gebracht werden, sich zu amüsieren, anstatt sich für faire Wahlen einzusetzen. Dafür sprach auch, dass die angekündigten musikalischen Darbietungen auf der Großdemo von den Behörden verboten wurden: Amüsieren kann man sich woanders, sollte das wohl heißen. Die Organisatoren der Demonstration beteuerten allerdings, dass die Auftritte trotz der Verbote stattfinden würden.

Am vergangenen Wochenende hatte das Moskauer Rathaus ebenfalls sehr kurzfristig das Schaschlik-Festival im Gorki-Park angesetzt, das angeblich die stolze Zahl von 300 000 Besuchern zählte.

Demonstrationsrecht wird weiter eingeschränkt

Während die Staatsmacht die Menschen durch Musikfestivals mit reichlich Grillware zu beschwichtigen versucht, holt sie gleichzeitig auch wieder die Daumenschrauben heraus: Wie die Tageszeitung Kommersant meldete, arbeiten die Parlamentarier des Föderationsrates an einem Gesetz, dass das Recht, sich an öffentlichen Orten zu versammeln, weiter beschneiden soll: "Wir müssen eine Vorschrift erlassen, in der genau geregelt wird, an welchen Orten politische Demonstrationen zugelassen sind", sagte Senator Andrei Klimow dem Kommersant: "Im Gesetz wird auch genau definiert werden, wo sie künftig unter keinen Umständen stattfinden dürfen."

Bislang untersagt das russische Recht politische Demonstrationen in der Nähe von Gebäuden der Präsidialadministration, von Gerichtsgebäuden, Gefängnissen und wichtigen Bauten für die Infrastruktur. Die ungenehmigte Demonstration am 27. Juli hatte vor dem Moskauer Rathaus stattfinden sollen, was durch massive Präsenz der Polizei weitgehend verhindert wurde. Dass das neue Gesetz zur Versammlungsfreiheit unter anderem Rathäuser und ihre räumliche Umgebung zur demonstrationsfreien Zone erklären wird, erscheint vor diesem Hintergrund wahrscheinlich.

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