Wahl in Moskau:Das Misstrauen der Russen sickert bis zu Putin durch

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Seit dem Jahr 2000 der starke Mann von Russland: Wladimir Putin.

(Foto: dpa)

Die Partei "Einiges Russland" ist im Wahlkampf für das Moskauer Stadtparlament nicht präsent. Das sagt viel über den Ruf von Staatschef Putin bei der Bevölkerung aus - eine echte Chance hat die Opposition dennoch nicht.

Kommentar von Silke Bigalke, Moskau

Im Moskauer Wahlkampf passiert Seltsames. Kandidaten lehnen die Unterstützung ihrer eigenen Partei ab. Nicht nur das, sie tun alles, um nicht mit der Regierungspartei Einiges Russland assoziiert zu werden.

Für die Wahl zum Stadtparlament lässt sich kein einziger Kandidat von ihr aufstellen. Bei den Wählern ist sie so unbeliebt, dass ihre Mitglieder lieber als Unabhängige antreten. Die Regierungspartei verliert ihre Funktion, der Kreml lässt es geschehen. Ein Hinweis darauf, wie prinzipienlos die politische Führung Russlands agiert.

Aus Sicht von Präsident Putin hat Einiges Russland die Aufgabe, ihm eine Mehrheit in der Staatsduma zu sichern. Sie soll auch dafür sorgen, dass bei lokalen und regionalen Wahlen der gewünschte Kandidat gewinnt. Beides kann sie nicht mehr erfüllen. Nicht mal die Rolle des Blitzableiters spielt sie noch zuverlässig.

Die Bevölkerung macht zwar die Regierungspartei und ihren Vorsitzenden Dmitrij Medwedjew verantwortlich, dass Renten sinken und Steuern steigen; die Umfragewerte von Partei und Premier sind dementsprechend schlecht.

Doch längst sickert das Misstrauen der Bevölkerung bis zu Putin durch. Der ist bereits bei der letzten Präsidentenwahl als Unabhängiger angetreten. Nun sieht er dabei zu, wie sich die Partei selbst außer Gefecht setzt. Im Moskauer Wahlkampf wird sie nicht sichtbar sein.

Regionale Wahlen sind in Russland ein Mittel für den Kreml, die Stimmung im Land zu testen und zu kontrollieren, wie gut die Regionalchefs die Lage im Griff haben. Nun lässt der Kreml sechs von 16 Gouverneurskandidaten als Unabhängige antreten. Wenn man auch ohne erkennbare Parteizugehörigkeit ins Amt kommen und dort bleiben kann, wozu braucht man dann überhaupt noch politische Parteien?

Die Moskauer Wahl ist besonders, denn alle Abgeordneten werden direkt gewählt. Bei der Wahl zur Staatsduma kann sich das Moskauer Desaster für Einiges Russland eigentlich nicht wiederholen, weil die Hälfte der Abgeordneten über Parteilisten bestimmt wird. Anderseits lässt sich das Wahlrecht auch ändern.

Putin könnte in Zukunft auf Einzelkandidaten setzen, auf ihm treue Gefolgsleute ohne Parteizugehörigkeit. Eine politische Überzeugung bräuchten sie nicht mehr unbedingt.

Die Regierung lässt ohnehin keine innenpolitische Agenda erkennen. Ihre "Nationalen Projekte" sind derart allgemein formuliert, dass sie niemand versteht. Die Behörden werden vor allem aktiv, wenn sie eine Krise bewältigen müssen, eine aus der Kontrolle geratene Gouverneurswahl oder Proteste.

Zu denen kommt es, wenn die Menschen sich übergangen fühlen: wenn jemand über ihren Kopf hinweg entscheidet, einen Stadtpark zuzubauen oder eine Mülldeponie in ihren Wald zu legen.

Man tut alles, um eine echte Opposition zu verhindern

Diese Beispiele werden immer wieder zitiert, weil sie zu den seltenen Fällen gehören, in denen die Bevölkerung etwas erreicht hat. Offenbar sorgt man sich im Kreml, dass Putin weiter an Unterstützung verliert, vor allem in der Region.

Gleichzeitig tut man alles, um eine echte Opposition zu verhindern. In Moskau wurde mehrere kremlkritische Politiker nicht zur Wahl für das Stadtparlament zugelassen, die Proteste dagegen ebben nicht ab. Es gibt keine Oppositionspartei, die Einiges Russland herausfordern könnte, nirgendwo.

Den Menschen bleibt als Alternative nur, dagegen zu sein. Früher stand als Option auf dem Wahlzettel "gegen alle". Heute bleibt ihnen nur, auf die Straße zu gehen. Und nicht zur Wahl.

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