Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Russland provoziert mit neuer Marinedoktrin

Kremlchef Wladimir Putin hat eine neue Militärdoktrin für die Kriegsmarine in Kraft gesetzt. Vor allem die USA wird als Gefahr für Russlands Sicherheit genannt. Angesichts der massiven Angriffe im Osten des Landes hat der ukrainische Präsident Selenskij einen flehentlichen Appell an die in Doneszk lebenden Menschen gerichtet.

Von Karoline Meta Beisel, München

Der russische Präsident Wladimir Putin hat eine neue Militärdoktrin für die Marine unterzeichnet. Darin wird der Anspruch formuliert, eine Seemacht mit weltweitem Einfluss zu sein. In der Doktrin seien auch Russlands Seegrenzen, darunter jene in der Arktis und im Schwarzen Meer, festgelegt worden. "Den Schutz werden wir hart und mit allen Mitteln gewährleisten", betonte der Kremlchef bei einer Parade mit Kriegsschiffen in St. Petersburg am Sonntag.

Wie die russische Nachrichtenagentur Interfax meldete, sei in der Doktrin festgeschrieben, dass das Streben der USA nach Dominanz auf den Weltmeeren eine "Herausforderung für die nationale Sicherheit Russlands" sei. Zugleich kündigte Putin an, dass die neue Hyperschall-Seerakete "Zirkon" bald in den Dienst gestellt werde. Die Lieferung der Raketen solle in den nächsten Monaten beginnen.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij rief angesichts der massiven Angriffe der russischen Armee im Osten des Landes die Menschen zum Verlassen des Gebiets um Donezk auf. Im Donbass hielten sich "Hunderttausende Menschen, Zehntausende Kinder" auf, viele weigerten sich, die Gegend zu verlassen. "Aber es muss wirklich trotzdem passieren" sagte Selenskij am Samstagabend in einer Videoansprache. "Je früher das geschieht, und je mehr Menschen die Region jetzt verlassen, um so weniger wird die russische Armee Zeit haben, zu töten."

Selenskij sagte, die Regierung habe sich zu einer verpflichtenden Evakuierungsanordnung für Donezk entschieden. Die Bürger sollen sowohl in logistischer als auch in finanzieller Hinsicht unterstützt werden. Das einzige, was es nun noch brauche, sei die Entscheidung all jener, die sich bis jetzt noch nicht dazu durchringen konnten, die Region zu verlassen. "Gehen Sie, wir werden Ihnen helfen", sagte Selenskij.

Der ukrainische Präsident äußerte sich auch zu dem Angriff auf das Gefängnis von Oleniwka, das bei Donezk auf dem von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiet liegt. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums vom Samstag sollen dort 50 ukrainische Kriegsgefangene getötet worden sein. Es handele sich um ein vorsätzliches russisches Kriegsverbrechen, sagte Selenskij. Nach Darstellung des russischen Verteidigungsministeriums wurde die Einrichtung von einem Himars-Mehrfachraketenwerfer aus den USA getroffen, den die ukrainische Armee einsetzt. Mit dem Angriff habe die Ukraine verhindern wollen, dass die Kriegsgefangenen Informationen über die ukrainische Taktik preisgeben.

Ein Berater Selenskijs schrieb am Sonntag auf Twitter, Satellitenbilder zeigten, dass nur ein einziges Gebäude auf dem Gelände beschädigt worden sei.

Die Angaben beider Seiten waren nicht sofort verifizierbar; erste Analysen von Bildern und Videos weckten aber Zweifel an der russischen Version. Es sei wahrscheinlicher, dass russische Kräfte für den Angriff verantwortlich seien, schrieb das US-Institut für Kriegsstudien (ISW), ohne sich endgültig festzulegen.

Massive Auswirkungen hat der Krieg auf die Ernte des Landes und damit weltweit die Versorgung mit Getreide. Präsident Selenskij twitterte am Sonntag, der Ertrag werde im laufenden Jahr nur halb so hoch ausfallen wie gewöhnlich. Die Ukraine zählt - wie Russland - bisher zu den größten Getreide-Exporteuren. Die Häfen am Schwarzen Meer wie Odessa können aber wegen der Blockade durch russische Streitkräfte seit Kriegsbeginn Ende Februar nicht wie gewohnt genutzt werden. Das hat bereits zu steigenden Preisen und Engpässen in einigen vornehmlich ärmeren Ländern geführt.

Unter der Schirmherrschaft der Türkei und der UN hatten die Kriegsparteien zuletzt ein Abkommen unterzeichnet, das die Wiederaufnahme der Getreide-Exporte vorsieht. Die Türkei rechnet mit dem Auslaufen eines ersten Frachters mit Getreide aus einem ukrainischen Schwarzmeerhafen am Montag, sagte ein Sprecher des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan im türkischen Fernsehen.

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