Russland:Milde mit einer Symbolfigur

Russland: „Kleiner Sieg“: Jegor Schukow muss nicht ins Lager.

„Kleiner Sieg“: Jegor Schukow muss nicht ins Lager.

(Foto: Kirill Kudryavtsev/afp)

Ihm drohte jahrelange Lagerhaft, doch nun kommt er mit einer Bewährungsstrafe davon: Der russische Student Jegor Schukow steht für eine junge Protestbewegung.

Von Frank Nienhuysen

Er hatte mit einem harten Urteil gerechnet und wappnete sich innerlich mit sanftem Trotz. "Je schrecklicher meine Zukunft ist", sagte Jegor Schukow, "desto breiter wird mein Lächeln, mit dem ich auf sie schaue". Vier Jahre Lagerhaft hatte die russische Anklage für den 21 Jahre alten Moskauer Studenten gefordert. Und Freisprüche gibt es selten in Russland. Vergleichsweise milde fiel am Freitagmorgen dagegen das Urteil aus. Schukow, der in den vergangenen Monaten zu einer Symbolfigur der jungen russischen Protestbewegung geworden war, erhielt eine Bewährungsstrafe von drei Jahren. Zwei Jahre lang darf er keine eigene Internetseite betreiben.

Vor dem Gebäude des Moskauer Bezirksgerichts applaudierten mehrere Hundert Menschen, die ihn dort unterstützten und "Freiheit für politische Gefangene" gefordert hatten. Schukow selber reckte erleichtert die Faust und bedankte sich für diesen "kleinen Sieg". Er wurde zwar schuldig gesprochen, die Richterin Swetlana Uchnalewa sagte, Schukow habe öffentlich zu "extremistischem Hass" aufgerufen. Doch dem russischen Straflager entgeht er.

Das Verfahren sollte offenbar auch abschreckend wirken auf die protestbereite Jugend

Im Sommer hatten Zehntausende, vor allem junge Russen, gegen den Ausschluss oppositioneller Kandidaten bei der Moskauer Stadtratswahl protestiert. Die Polizei nahm zeitweilig mehr als 1400 Menschen fest. Das Verfahren gegen Jegor Schukow galt jedoch als das spektakulärste und sollte offenbar abschreckend wirken auf die protestbereite Jugend. Der Student geht in Moskau auf die angesehene Elite-Uni Higher School of Economics, wurde von der Hochschule als guter, gewissenhafter Student beschrieben. Schon vor seiner Festnahme hatte er einen eigenen, regierungskritischen Videoblog geführt, den mehr als 100 000 Menschen abonnierten. Den muss er nun schließen.

Schukow war zunächst wegen des Vorwurfs angeklagt worden, er habe Massenunruhen organisiert. Bei den Demonstrationen am 27. Juli habe er mit den Händen die Menschenmenge dirigiert und sie dazu bewegt, eine Polizeiabsperrung zu durchbrechen. Acht Jahre Haft wäre die mögliche Höchststrafe gewesen. Doch dann zeigte sich, dass auf dem Videofilm, der als angeblicher Beweis diente, gar nicht Schukow zu sehen war, sondern jemand anderer. Aber die Anklage gegen ihn wurde nicht einfach fallen gelassen. Stattdessen durchstöberten die Behörden seine alten Videoblogs und fanden dort Sequenzen, zum Teil bereits vor zwei Jahren aufgenommen, die ihrer Meinung nach für eine andere Anklage reichten: Aufruf zum Extremismus.

Schukow und seine Verteidigung hielten die Vorwürfe für "fabriziert". Sie dementierten, dass sein Werben für Proteste gewaltsame Methoden umfasse. Ein Gutachten galt als zweifelhaft. Unterstützung erhielt der Student von vielen Seiten. Schullehrer und Professoren seiner Universität setzten sich für ihn ein, unter anderem die Prorektorin Walerija Kasamara. Sie bürgte für Schukow, obwohl sie bei der umstrittenen Moskauer Stadtratswahl als Kandidatin für die Regierungspartei angetreten war.

Studierende und auch der bekannte russische Rapper Oxxxymiron trugen T-Shirts mit seinem Porträt; sogar 123 russisch-orthodoxe Priester forderten in einem offenen Brief, die Vorwürfe gegen die Angeklagten der jungen Protestbewegung fallen zu lassen. Sie schrieben von "Einschüchterung" und riefen die Behörden zu "Barmherzigkeit" auf. Und der Publizist Dmitrij Bykow sprach von einem "schweren Fehler", Schukow festzunehmen, der für eine neue Generation in Russland stehe.

Der Leiter des Menschenrechtsrats beim russischen Präsidenten, Walerij Fadejew, sprach am Freitag von einem "ausgewogenen Urteil", das es Schukow nun ermögliche, weiter zur Uni zu gehen. Kremlsprecher Dmitrij Peskow kommentierte das Urteil nicht, er sprach von einer "gesellschaftlichen Resonanz", vor der man nicht die Augen verschließe. Doch man solle auch nicht die Popularität des Studenten und Bloggers sowie seine Unterstützung durch die Gesellschaft überbewerten.

Außer gegen Schukow wurde am Freitag noch in weiteren Fälle entschieden. Ein 22-Jähriger muss für ein Jahr wegen Angriffs gegen einen Polizisten in Haft, andere erhielten Bewährungs- oder Geldstrafen.

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