Süddeutsche Zeitung

Russland und Tschetschenien:Gute Ehen, staatlich verordnet

Lesezeit: 3 min

Von Julian Hans, Moskau

Mit der konservativen Wende während Wladimir Putins dritter Amtszeit im Kreml ist auch der Anspruch des russischen Staates gewachsen, auf das Privatleben seiner Bürger Einfluss zu nehmen. Kurz vor Jahresende meldete die Ombudsfrau des Kreml für die Rechte der Kinder, Anna Kusnezowa, ein neues Programm zur "Familienführung" sei fertig ausgearbeitet.

Noch sei nicht entschieden, ob die "Lektionen für Familienglück" als Teil des Unterrichts eingeführt, oder als AGs von den Lehrern angeboten werden sollen, sagte Kusnezowa der Agentur Interfax. Sie hatte im vergangenen Sommer Kurse angeregt, in denen "traditionelle Familienwerte" vermittelt werden. Die Aufgabe wurde dann der Pädagogischen Akademie übertragen. Medienberichten zufolge soll ein Programm der orthodoxen Kirche mit dem Titel "Moralische Grundlagen des Familienlebens" als Vorlage dienen.

Eine Kommission soll geschiedene Paare wieder zusammenbringen

Im überwiegend von Muslimen bewohnten Kaukasus greift der Staat entschlossener durch. Im Frühjahr 2017 war bekannt geworden, dass mindestens 100 Menschen in Tschetschenien willkürlich festgenommen und gefoltert wurden, weil sie verdächtigt wurden, homosexuell zu sein. Mindestens drei starben an den Misshandlungen, viele flohen danach aus dem Land, auch Deutschland gewährte einzelnen Verfolgten Asyl.

Im August rief Ramsan Kadyrow, Oberhaupt der russischen Teilrepublik Tschetschenien, eine Kommission ins Leben, die geschiedene Paare wieder zusammenbringen soll. Vertreter von Behörden, Sicherheitsorganen und Muftis sollen zusammen auf die Familien einwirken. Wie lange sie schon getrennt sind, spielt dabei keine Rolle. Mehr als 1000 Paare sollen sich diesem Druck laut Angaben der tschetschenischen Behörden schon gebeugt haben.

Ehescheidungen seien in großem Maße an den sozialen Problemen in der Region schuld, hatte Kadyrow im Sommer behauptet. Kinder von alleinerziehenden Müttern seien für Extremismus besonders empfänglich. Damit wird das Vorgehen gegen Geschiedene zu einem Teil des Kampfes gegen den Terrorismus. Der Republikchef rechtfertigt seine Gewaltherrschaft mit dem Kampf gegen Islamisten, billigt aber gleichzeitig Vielehen und Ehen mit Minderjährigen, die nach russischem Gesetz verboten sind.

Nicht allen Problemen schenkt die Führung gleichermaßen Beachtung

Auch die Statistik lässt daran zweifeln, dass das Problem so groß ist, dass der Staat tätig werden müsste. Im Vergleich mit allen anderen Regionen der Russischen Föderation belegt Tschetschenien bei den Scheidungen ohnehin den letzten Platz. Russlandweit wurden laut der Statistikbehörde Rosstat im Jahr 2016 von 1000 Ehen 617 geschieden; in der Republik Tschetschenien waren es dagegen nur 149 Scheidungen bei 1000 Ehen.

Nicht allen Problemen in den Familien schenkt die tschetschenische Führung gleichermaßen Beachtung. In einer Umfrage der Heinrich-Böll-Stiftung aus dem Jahr 2014 gaben 27 Prozent der befragten Frauen in der Republik an, sie seien von ihren Eltern zwangsverheiratet worden. In dieser Gruppe war die Scheidungsrate mit 65 Prozent enorm hoch. Außerdem erklärten fast 40 Prozent der Frauen, sie würden zu Hause geschlagen. Der vereinte Druck von Verwaltung und religiösen Führern trifft also gerade Frauen, die gegen ihren Willen verheiratet wurden und im schlimmsten Fall von ihren Männern geschlagen wurden.

Eine Scheidung war für viele Betroffene also schon früher kein leichter Schritt. In der stark traditionell geprägten Gesellschaft des Kaukasus setzt oft die ganze Familie die Einzelnen unter Druck, sich den Normen getreu zu verhalten. Eine geschiedene Frau kann Schande für den ganzen Klan bedeuten, während viele Männer sich Zweitfrauen nehmen und dafür nicht verurteilt werden. Zudem bleiben die Kinder in Tschetschenien traditionell nach der Scheidung bei den Vätern und werden von deren Familie versorgt und erzogen. Leichtfertig dürften Frauen daher ihre Männer nicht verlassen, bedeutet das doch oft, dass sie auch den Kontakt zu ihren Kindern verlieren.

Das Verfahren läuft ohne Zwang ab - sagt Kadyrow

Gleichwohl stellte Kadyrow bei der Vorstellung seiner Pläne im Sommer ein anderes Beispiel als vorbildlich heraus. Ein Mann habe nach der Scheidung erneut geheiratet, aber "nach der Arbeit unserer Kommission" seine Ex-Frau wieder bei sich aufgenommen, erzählte er. Schließlich seien gemäß dem Islam bis zu vier Ehefrauen erlaubt. "Er hat verstanden, dass es besser ist, wenn die leibliche Mutter für die Kinder sorgt und nicht abseits steht und leidet. Dank der Kommission hat er jetzt nicht eine Frau, sondern ganze zwei!"

Das Verfahren laufe ganz ohne Zwang ab, versicherte der Chef der Behörde für Religion und Gesellschaft, Rustam Abasow, der BBC. Schließlich seien Staat und Kirche in Russland streng getrennt, gewaltsame Versöhnung könne es daher aus Prinzip nicht geben. "Bei uns in Tschetschenien gibt es keine Menschenrechtsverletzungen", sagte er, dafür garantiere Ramsan Kadyrow.

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SZ vom 22.01.2018
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