Süddeutsche Zeitung

Fünf Jahre Annexion:Die Krim-Euphorie der Russen lässt nach

  • Nach der Annexion der Krim schoss die Beliebtheit Wladimir Putins bei den Russen quasi über Nacht auf mehr als 80 Prozent.
  • Nach fünf Jahren scheint dieser Krim-Effekt aufgebraucht.
  • Denn die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Russen sind durch die Annexion eher größer geworden.

Von Silke Bigalke, Moskau

Präsident Wladimir Putin spricht nicht oft über Gefühle. Mit einer Ausnahme vielleicht: Wenn es um seine Liebe zu Russland geht. Die sei "um ein Vielfaches" gestiegen in den vergangenen 15 Jahren, sagte der Präsident im Herbst in einer Fernsehsendung, da ging es bereits bergab mit seinen Umfragewerten. In letzter Zeit wird eine Frage immer lauter: Liebt Russland ihn denn überhaupt noch zurück?

Häufig wird in dem Zusammenhang noch ein anderes, fast vergangenes Gefühl angesprochen, manche nannten es den "Krim-Konsens". Es beschrieb die in Russland weitverbreitete Freude und den Stolz darüber, dass die Krim wieder zu ihnen gehört. Eine Euphorie, die seit einiger Zeit abklingt. Es ging dabei auch um ein oft beschworenes Zusammengehörigkeitsgefühl aller Russen, und der Russen mit ihrem Präsidenten. Doch der verliert nun überall an Zustimmung.

In einer Umfrage im Februar erklärten sich nur noch 64 Prozent der Befragten einverstanden mit Putins Politik. Das unabhängige Lewada-Zentrum stellt diese Frage jeden Monat. Das Besondere am aktuellen Ergebnis ist, dass der Wert so niedrig ist wie zuletzt vor der Annexion der Krim im März 2014. Damals schoss die Zustimmung der Russen zum Präsidenten quasi über Nacht auf über 80 Prozent - und blieb vier Jahre lang auf diesem Niveau. Doch nach fünf Jahren scheint der Krim-Effekt aufgebraucht.

Hat Putin die Verbindung zum Volk verloren?

Wie lässt sich dieser Effekt beschreiben? Zum ersten Mal seit Zerfall der Sowjetunion hatte sich Russland durch die Annexion wieder ausgedehnt. Es hatte der Welt seine Macht demonstriert. Einer Welt voller Feinde, so stellte es Putin häufig dar, die Russland schaden und es kleinhalten wollen. Eine Botschaft, die das Staatsfernsehen auf allen Kanälen wiederholte und das Volk hinter dem Präsidenten zusammenrücken ließ. Putin erhielt eine Art Freibrief für seine außenpolitische Agenda, sein Vorgehen in der Ostukraine, die Einmischung in Syrien, die konfrontative Politik gegenüber dem Westen.

Statt mehr Wohlstand versprach er den Menschen Größe und Nationalstolz. Doch inzwischen spüren sie immer stärker, was dieses Tauschgeschäft bedeutet. Denn die wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die sie in ihrer Freude über die Krim für eine Weile vergessen konnten, sind durch die Annexion eher größer geworden. Auf sie scheint der Präsident keine Antworten zu haben. Hat er über seinen außenpolitischen Ambitionen die Verbindung zum Volk verloren?

Nachdem die Post-Krim-Euphorie nun vorbei sei, schreibt etwa Tatjana Stanowaja für das Moskauer Carnegie-Zentrum, und "die Öffentlichkeit ihre Aufmerksamkeit vom Fernsehen auf den Kühlschrank verlagert" habe, treten soziale Ungerechtigkeit und sinkender Lebensstandard in den Vordergrund. Selbst die Mainstream-Medien beschäftigten sich nun mit den unbeliebten wirtschaftlichen Entscheidungen der Regierung, vom höheren Rentenalter bis zur höheren Mehrwertsteuer.

Zwar sind die meisten Russen bis heute einverstanden mit der Annexion, 77 Prozent der Befragten waren es in einer aktuellen Umfrage des staatsnahen Instituts Fom. Fragt man jedoch, ob der Anschluss Russland genützt habe, antworten nur noch 39 Prozent mit Ja. Vor drei Jahren waren es noch 67 Prozent.

Die Krim-Annexion hat indirekt zur wirtschaftlich schwierigen Lage beigetragen. Die Sanktionen, der schwache Rubel, der sinkende Wert russischer Einkommen, die steigenden Preise im Supermarkt - all das hängt zumindest in Teilen auch mit der Lage zusammen, in die Putin sein Land gebracht hat. Bei der Wahl im vergangenen Jahr, die man extra auf den Jahrestag der Annexion gelegt hatte, holte Putin noch knapp 77 Prozent der Stimmen. Im Herbst sagten nur noch 56 Prozent dem Lewada-Zentrum, dass sie am kommenden Sonntag Putin wählen würden. Und im Februar ermittelte das staatsnahe Meinungsforschungsinstituts Wziom, dass gerade mal 33 Prozent der Befragten Putin vertrauten, der niedrigste Wert in 13 Jahren.

In seiner Rede an die Nation hat der Präsident dieses Jahr den außenpolitischen Teil kurz gehalten. Vielleicht hat er erkannt, dass immer mehr seiner Landsleute der patriotischen Parolen müde werden. Stattdessen versprach Putin großzügig Geld für fast alle sozialen Bereiche. Was weiterhin fehlt, ist ein klares Wirtschaftsmodell. Und eine politische Vision, die über einen kurzlebigen patriotischen Taumel hinausgeht.

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SZ vom 18.03.2019/fued
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