Russland:"Krieg gegen die junge Generation"

MOSCOW, RUSSIA - FEBRUARY 2, 2020: A young woman holds a sign showing a portrait of Vasily Kuksov with a message readin

Eine junge Frau in Moskau macht auf einen Aktivisten aufmerksam, der angeblich vom Geheimdienst gefoltert wurde.

(Foto: Alexander Shcherbak/imago images)

Hohe Haftstrafen von bis zu 18 Jahren gegen teils militante Aktivisten lösen Protest in Russland aus.

Von Frank Nienhuysen

Die Vorwürfe sind massiv, und die Haftstrafen und die Zweifel sind es auch. Am Tag nach den Urteilen gegen sieben linke Aktivisten wurde in Russland noch immer über das Gerichtsverfahren in der Stadt Pensa diskutiert. Die Männer zwischen 23 und 31 Jahren waren am Montag zu sechs bis 18 Jahren Lagerhaft verurteilt worden, weil zwei von ihnen nach Ansicht der Anklage und der Richter eine Terrorvereinigung mit dem Namen Setj (Netz) gegründet haben und die anderen ihr angehört haben sollen. Die Organisation ist in Russland verboten, und wer sie im Land erwähnt, ist verpflichtet, genau dies auch kenntlich zu machen.

Die sieben Russen, die sich selber als Umweltschützer, linke Antifaschisten oder Anarchisten empfinden, sollen für die Zeit vor der Präsidentenwahl und zur Fußballweltmeisterschaft 2018 Angriffe geplant haben - in der Absicht, die Bevölkerung aufzuwiegeln und die politische Lage im Land zu destabilisieren. Sie sollen dazu Zellen in Sankt Petersburg, Moskau, Pensa, Omsk und in Weißrussland aufgebaut haben. Die Anklage war überzeugt, dass die jungen Männer zur Vorbereitung im Wald mit Waffen trainiert hätten, bei ihnen seien illegale Waffen, Pistolen, Munition und Handgranaten sichergestellt worden. Die Angeklagten sagten hingegen, sie hätten Strikeball gespielt - eine Art militaristischer Sport mit Tarnuniformen und Jagdgewehren. Die Handgranaten seien ihnen untergeschoben worden. Doch das ist nicht der einzige und auch nicht der schwerwiegendste Vorwurf, den die Angeklagten erhoben.

Geständnisse sollen unter Folter erzwungen worden sein

Fünf von ihnen beschuldigten Mitarbeiter der Ermittlungsbehörden, dass ihre anfänglichen Geständnisse, einer Terrorvereinigung anzugehören, unter Folter erzwungen worden seien. Sie sprachen von Elektroschocks, Schlägen oder zumindest der Androhung von Folter. Nach den Gerichtsurteilen riefen Unterstützer der Angeklagten "Schande, Schande".

Timur Miftachutdinow, Anwalt eines der Verurteilten, sagte nach einem Bericht der Zeitung Kommersant, dass das Gericht "jeglichen Hinweis auf Folter verworfen hat". In diesem Fall habe es eine Menge an Verfahrensfehlern gegeben. Ein russischer Richter in Pensa wies darauf hin, dass die Beschuldigten in Russland gegen die Urteile vorgehen könnten. Doch die Anwälte scheinen sich davon nicht viel zu versprechen. "Wir sind bereit, die Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzufechten", sagte Miftachutdinow.

In Russland haben die Gerichtsentscheidungen heftige Reaktionen ausgelöst, denn das Strafmaß wird von vielen als außergewöhnlich hoch eingeschätzt. Allein vier der verurteilten Männer, die im Gerichtssaal in einer verglasten Zelle standen, erhielten 18, 16, 14 und 13 Jahre Lagerhaft. Alle sieben wurden in allen Punkten schuldig gesprochen und erhielten jeweils das Strafmaß, das die Anklage beantragt hatte. Lediglich den Besitz von Rauschgift hatten einige der Angeklagten eingeräumt. Legale Waffen wie ein Jagdgewehr wurden beschlagnahmt, sichergestellte anarchistische Bücher sowie eines von Karl Marx und von Friedrich Engels sollen ebenso vernichtet werden wie Mobiltelefone, CDs und Laptops.

Die Zeitung Wedomosti veröffentlichte am Dienstag einen Meinungsbeitrag unter der Überschrift "Wie man Strikeball in Terrorismus verwandelt". Darin heißt es, dass die strengen Urteile "nichts über die Effizienz im Kampf gegen den Terrorismus im Land aussagen, sondern nur über die fehlende Humanität und die Härte der russischen Sicherheitsdienste".

Der Kreml reagierte zunächst vorsichtig und war immerhin bestens auf dem Laufenden über den Fall. Sprecher Dmitrij Peskow sagte, dass sich Präsident Wladimir Putin mehrmals informiert und angeordnet habe, alles sorgfältig und den Gesetzen entsprechend zu prüfen. Einerseits muss sich der Kreml der Verfassung gemäß aus der Justiz heraushalten. Andererseits könnte der Fall in Pensa für Moskau womöglich politisch noch knifflig werden, sollte sich herausstellen, dass die Geständnisse tatsächlich mit Gewalt aus den der Angeklagten herausgepresst wurden. Schon seit dem vergangenen Sommer ist vor allem die junge Generation immer wieder zum Protest gegen Missstände auf die Straße gegangen.

Der Vorsitzende der russischen Menschenrechtskommission, Nikolaj Swanidse, bezeichnete die Urteile vom Montag sehr deutlich als "stalinistisch". Dass in solch einem Fall Folter angewendet werde, gehe ihm einfach nicht in den Kopf. Darüber habe er bereits nicht nur einmal dem Präsidenten berichtet. Auch einen Kommentator im unabhängigen Radiosender Echo Moskaus erinnerten die hohen Haftstrafen von Pensa an alte sowjetische Zeiten. Konstantin Remtschukow warnte all jene, "die geneigt sind, mit einer Leichtigkeit einen Krieg mit der jungen Generation zu beginnen". Denn ihr gehöre die Zukunft, so oder so.

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