Russland:Kreml-Partei holt drei Viertel der Mandate

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Russlands Wähler haben ihre Regierung gestärkt. Manche sogar doppelt. Doch die meisten blieben zu Hause.

Von Julian Hans, Moskau

Der russische Präsident Wladi-mir Putin deutet den Sieg der Kremlpartei Einiges Russland bei der Parlamentswahl am Sonntag auch als Antwort auf Druck aus dem Westen. "Das Abstimmungsergebnis ist die Reaktion unserer Bürger auf Versuche, von außen Druck auf Russland auszuüben, auf Drohungen, Sanktionen, auf Versuche, die innenpolitische Lage zu destabilisieren", sagte Putin am Montag bei einem Treffen mit dem Kabinett in Moskau. Zudem, sagte Putin, trauten die Bürger der Regierungspartei am ehesten zu, die aktuellen Wirtschaftsprobleme zu lösen.

Putins Sprecher Dmitrij Peskow wollte die historisch niedrige Wahlbeteiligung von 48 Prozent nicht als Zeichen geringer Unterstützung ausgelegt wissen. Die Teil-nahme hätte höher sein können, doch sie stelle nicht das Ergebnis infrage, sagte er der Agentur Interfax zufolge. Es sei offen-sichtlich, dass die Mehrheit der Wähler hinter Putin stehe.

Derweil räumte die zentrale Wahlkommission Unregelmäßigkeiten bei der Parlamentswahl ein. In einigen Regionen habe es Probleme gegeben, sagte die Vorsitzende Ella Pamfilowa. Insgesamt sei der Urnengang aber "ziemlich rechtmäßig" abgelaufen. Beobachter hatten aus zahlreichen Regionen Russlands Verstöße gemeldet. So seien Wähler mit Bussen von einem Wahllokal zum anderen gefahren worden, um mehrfach ihre Stimme abzugeben. Auf Videos aus Wahllokalen war zu sehen, wie Helfer Packen von Stimmzetteln in Wahlurnen stopften. Pamfilowa sagte, wegen eines Vorfalls in Rostow am Don seien Ermittlungen eingeleitet worden. Insgesamt sie die Wahl aber ungleich transparenter gewesen als die vorige Parlamentswahl im Jahr 2011.

Mehr geht kaum: Präsident Putin und Premier Medwedjew (von rechts) lassen sich im Hauptquartier ihrer Partei Einiges Russland die Wahlergebnisse erklären. (Foto: Alexei Druzhinin/Russian Presidential Press and Information Office/Tass/Imago)

Auch die unabhängige Wahlbeobachtergruppe Golos erklärte, es habe weniger grobe und direkte Verstöße gegeben als vor fünf Jahren. Angesichts der Dominanz der Regierungspartei Einiges Russland im Wahlkampf könne die Wahl aber auch diesmal nicht als frei und fair eingestuft werden.

Die Regierungspartei Einiges Russland kann künftig im Alleingang Gesetze verabschieden und die Verfassung ändern. Nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen erhielt sie 343 der 450 Sitze in der Zweiten Kammer. Die Kommunistische Partei KPRF erhielt 42 Sitze, die nationalpopulistische LDPR 39 und die Partei Gerechtes Russland 23 Sitze. Damit verfügt die Partei von Regierungschef Dmitrij Medwedjew über mehr als drei Viertel der Mandate.

Eine echte Opposition wird es auch in der nächsten Legislaturperiode nicht geben

Wie schon in der vergangenen Legislaturperiode werden alle im Parlament vertretenen Fraktionen von sogenannten Systemparteien gebildet, die in allen wichtigen Fragen im Sinne des Kremls abstimmen. Formell wird Einiges Russland aber nicht auf die Mitwirkung von Kommunisten, LDPR und Gerechtes Russland angewiesen sein.

Eine echte Opposition wird es auch in der nächsten Legislaturperiode nicht geben. Die liberalen Parteien Jabloko und Parnas, die der Politik von Präsident Wladimir Putin kritisch gegenüberstehen, scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde. Je ein Direktmandat ging an die nationalistische Partei Rodina, die Bürgerplattform des Unternehmers Michail Prochorow sowie an einen unabhängigen Kandidaten.

SZ-Grafik (Foto: N/A)

Die Wahlbeteiligung war so niedrig wie nie seit der Auflösung der Sowjetunion. Nicht einmal jeder zweite der 110 Millionen Wahlberechtigten gab seine Stimme ab. Besonders wenige gingen in den großen Städten zur Wahl: in Moskau nur 35 Prozent, in Sankt Petersburg unter 33 Prozent. Dagegen meldeten Republiken im Nordkaukasus eine Wahlbeteiligung von 80 Prozent und mehr. Im Frühjahr hatte die alte Duma beschlossen, die Wahl von Oktober auf September vorzuziehen. Viele Russen verbringen den Sommer bis Ende September auf ihren Datschen, bevor diese für den Winter verschlossen werden. Durch den vorgezogenen Wahltermin fiel außerdem die Hochphase des Wahlkampfs in die Hauptferienzeit.

Gleichzeitig mit der Parlamentswahl fanden 60 weitere Wahlen auf regionaler, kommunaler und Landesebene statt. Im Gebiet Tula wurde der erst im Frühjahr von Putin ernannte Alexej Djumin mit 84 Prozent bestätigt, er war früher Leibwächter des Präsidenten. Ramsan Kadyrow, Oberhaupt der Republik Tschetschenien, bekam 97 Prozent. Beide Regionen ignorierten damit Ermahnungen der Wahlleiterin Pamfilowa, wonach Ergebnisse über 80 Prozent nicht mehr zeitgemäß seien.

Das neue Wahlrecht, das vordergründig den kleinen Parteien mehr Chancen geben sollte, entpuppte sich im Ergebnis als Vorteil für die Regierungspartei. Das 2003 abgeschaffte gemischte Wahlrecht wurde wieder eingeführt, von den 450 Sitzen in der Duma wurden je 225 über Parteilisten (Verhältniswahl) und direkt in Wahlkreisen vergeben (Mehrheitswahl). Anders als bei den Wahlen zum deutschen Bundestag werden Direktmandate aber nicht mit den Listenmandaten verrechnet, sondern addiert, Experten sprechen von einem Grabenwahlsystem. So gewann die stärkste Partei in den meisten Wahlkreisen doppelt.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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