Regionalwahlen in Russland:Achtungserfolge für Nawalny-Unterstützer in Sibirien

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Stimmabgabe unter Pandemie-Bedingungen: Ein Mann und ein kleiner Junge verlassen eine Wahlkabine in der Stadt Tomsk. (Foto: REUTERS)

Bei den Regionalwahlen in Russland verteidigt der Kreml weitgehend seine Machtfülle. Doch vereinzelt kann die Opposition punkten: In der sibirischen Großstadt Tomsk verliert die Kreml-nahe Partei "Einiges Russland" ihre Mehrheit in der Ratsversammlung.

Die Unterstützer des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny haben bei den lokalen Wahlen in Sibirien vereinzelt Erfolge errungen. Zwar konnten Kandidaten, die von der Kreml-nahen Partei "Einiges Russland" unterstützt wurden, in zahlreichen Regionen klare Siege verbuchen und alle 18 Gouverneurs-Wahlen gewinnen. Nawalnys Unterstützer kamen aber zu Achtungserfolgen in Sibirien: Bei den Abstimmungen zu den Stadtverwaltungen in Nowosibirsk und Tomsk setzten sie einige ihrer Kandidaten durch.

In der nach Einwohnerzahl drittgrößten Stadt Nowosibirsk gewann der Nawalny-Anhänger Sergej Bojko seinen Wahlkreis im Zentrum der 1,6-Millionen-Metropole. Er war gegen einen Kandidaten der Kommunistischen Partei angetreten, der seit 24 Jahren sein Mandat innehat und zudem die rechte Hand des Bürgermeisters ist.

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Bojko war es gelungen, eine Koalition von unabhängigen Oppositionellen zur "Koalition Nowosibirsk 2020" zu vereinen. 31 von ihnen traten zur Wahl des Stadtrats an, neben Bojko gewannen Helga Pirogova and Anton Kartavin ihre Wahlkreise. Wjatscheslaw Jakimenko von der "Koalition Nowosibirsk" verbuchte den Sieg in seinem Wahlkreis ebenfalls für sich, obwohl ihm der vom Kandidaten von "Einiges Russland" streitig gemacht wurde: "Im Wahllokal von Jakimenkos Stimmbezirk sind plötzlich 300 bis 350 Stimmzettel für "Einiges Russland" aufgetaucht", twitterte Bojko, "die jetzt noch gezählt werden sollen. Wenn es so kommt, verliert Slawa ( Jakimenko, Anm. d. Red.)." Das Bojko-Team will nun rechtlich gegen die aus ihren Augen vorliegende Manipulation vorgehen.

Auch in der von vielen Studierenden bewohnten Stadt Tomsk erzielten Nawalnys Anhänger Erfolge. Zwei von seinen Mitarbeitern schafften nach vorläufigen Angaben den Einzug in den Stadtrat, wie die Agentur Interfax am Montag meldete.

Zudem verlor "Einiges Russland" in Tomsk die Mehrheit im städtischen Parlament mit seinen 37 Sitzen. Nach Auszählung aller Stimmzettel erzielte die Kreml-nahe Partei 24,47 Prozent. Das entsprach elf Sitzen. Bislang war sie auf 21 Sitze gekommen.

Strategie der "klugen Abstimmung"

Nawalny hatte vor seiner Vergiftung in der Stadt für seine Strategie der "klugen Abstimmung" geworben. Er rief dazu auf, strikt den Kandidaten zu wählen, der die größten Chancen gegen den Aspiranten von "Einiges Russland" hat. Ziel der Opposition ist es, auf diese Art und Weise das Machtmonopol von "Einiges Russland" zu brechen. Der Plan ging im Fall von Tomsk dem vorläufigen Ergebnis zufolge auf. Nawalny hatte auch in Moskau bei den Stadtratswahlen im vergangenen Jahr damit Erfolg.

Einziehen in den Stadtrat von Tomsk werden demnach seine Mitarbeiter Xenia Fadejewa und Andrej Fatejew. "Einiges Russland" wird weiterhin die stärkste Fraktion stellen. Auf Platz zwei landeten die Kommunisten mit 17,55 Prozent der Stimmen. Es folgte die erst im März diesen Jahres zugelassene Partei "Neue Leute" (Nowyje Ljudi), die aus dem Stand 15,06 Prozent erzielte. Die neue politische Kraft, die sich auch für Selbstständige und ökologische Themen einsetzt, verzeichnete zudem in anderen Städten Erfolge. Sowohl die kommunistische Partei als auch "Neue Leute" werden zur "systemischen Opposition" gezählt, die vorgibt, eine Alternative zu "Einiges Russland" zu sein, aber häufig den Vorgaben des Kremls folgt.

Der Stadtrat von Tomsk gilt nun als die Abgeordnetenkammer in Russland mit dem breitesten Spektrum an politischen Meinungen. Vertreten sind auch die Liberaldemokraten des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski, die Partei "Gerechtes Russland" und die liberale Oppositionskraft "Jabloko" sowie die "Partei des Wachstums".

Der wichtigste Anführer der Opposition fehlte

Insgesamt waren in ganz Russland 9000 verschiedene Wahlen auf unterschiedlichen Ebenen angesetzt. Es ging dabei um Gouverneure, Stadträte, Bürgermeister und um einzelne Abgeordnete der Staatsduma in Moskau, deren Posten aus verschiedenen Gründen nachbesetzt werden mussten.

Millionen Menschen waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Es war die erste Wahl seit Beginn der Corona-Pandemie und nach der umstrittenen Verfassungsänderung vom Juni, die Putin mehr Machtbefugnisse gibt. Mit den offiziellen Endergebnissen wird am Montag gerechnet.

Die Opposition musste dabei auf ihren wichtigsten Anführer Nawalny verzichten. Der Kreml-Kritiker ist derzeit zur ärztlichen Behandlung in Berlin. Er war auf einem innerrussischen Flug kollabiert und ins Koma gefallen. Später wurde er zur Behandlung nach Deutschland gebracht. Ein Labor der Bundeswehr hat nach Angaben der Bundesregierung festgestellt, dass er mit einem chemischen Kampfstoff vergiftet wurde. Labore in Frankreich und Schweden bestätigten inzwischen die deutschen Ergebnisse. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Regierung in Moskau zur Klärung aufgefordert. Der Fall belastet das deutsch-russische Verhältnis.

Viele Unregelmäßigkeiten

Die Abstimmung fiel nicht nur deshalb in eine Zeit verbreiteter Unzufriedenheit. Im Osten des Landes demonstrieren die Menschen schon seit Wochen - nach der Inhaftierung des Ex-Gouverneurs von Chabarowsk auch gegen einen zu großen Einfluss Moskaus auf die Region an der Grenze zu China. Infolge der Corona-Krise ist die Zahl der Arbeitslosen massiv gestiegen, eine Trendwende ist vorerst nicht in Sicht. Die Regionalwahlen gelten nicht zuletzt deshalb auch als wichtiger Stimmungstest für die Parlamentswahl im kommenden Jahr.

Die Wahlen erstreckten sich erstmals über drei Tage, wie es in der Verfassung nach dem Referendum im Sommer inzwischen vorgesehen ist. Begründet wurde die Änderung damit, dass sie es den Menschen leichter machen soll zu wählen. Kritiker wenden allerdings ein, dass die Verlängerung des Wahlgangs von ein auf drei Tage Manipulationen erleichtert.

Beobachter hatten bereits am Sonntag viele Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgaben beklagt. Die Wahlbeobachtergruppe Golos zählte mehr als 1000 Meldungen über mögliche Regelverstöße, das Innenministerium sprach von 2500 seit Beginn des Wahlkampfes.

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