Süddeutsche Zeitung

Russland in der Krise:Tollpatsche im Kreml

Der Westen und China gehen immer stärker auf Distanz zu Moskau - wie Putin und Medwedjew den mühsam aufgebauten Einfluss Russlands schnell wieder verspielt haben.

Nina Chruschtschowa

Nina Chruschtschowa lehrt Internationale Politik an der New School, New York. Ex-Kremlchef Nikita Chruschtschow war ihr Urgroßvater.

Im Frühjahr 2008 war Wladimir Putin, damals noch im Amt des Präsidenten, ganz obenauf. Öl- und Gaspreise waren in schwindelnde Höhen gestiegen, die Exporterlöse füllten den Säckel des Kreml. Der Wiederaufbau des Militärs, das mit dem Ende des Kommunismus 1991 zusammengebrochen war, schritt voran. Und der handverlesene Nachfolger Dimitrij Medwedjew wurde problemlos an die Macht gebracht, Putin selbst rückte ins Amt des Ministerpräsidenten.

Darüber hinaus blieben die Vereinigten Staaten der perfekte Kontrast für einen Staatschef mit globalen Ambitionen. Ein Ziel der in sich unstimmigen Außenpolitik der Bush-Regierung war, in Polen und Tschechien eine Raketenabwehr zu installieren. Er ermöglichte es Putin, die Trennlinien neu zu beleben, die es seit dem Irakkrieg zwischen altem und neuem Europa gab - Trennlinien, die Russlands Einfluss auf dem europäischen Kontinent zu stärken schienen.

Stärkung der eigenen Volkswirtschaft

Russlands offensichtlicher militärischer Wiederaufstieg spielte auch eine Rolle bei der Stärkung der einheimischen Volkswirtschaft. Das Land verkaufte Waffen für acht Milliarden Dollar an achtzig Länder, darunter Venezuela, China, Indien, Algerien, Iran, Malaysia und Serbien. Auch auf diesem Sektor konkurrierte Russland nun mit Großbritannien und den USA.

Dabei standen diese Waffenverkäufe häufig in engem Zusammenhang mit Putins Bemühen, Einfluss geltend zu machen. Das russische Militär hielt an vielen Orten erstmals Manöver ab, so auch in Venezuela - als gelte es, eine neue Kubakrise vorzubereiten, bei der Hugo Chávez die Rolle Fidel Castros zugedacht war.

So gut schienen sich die Dinge zu entwickeln, dass Russland plötzlich entdeckte, dass es über ein gewisses Maß an soft power verfügte. Dies zeigte sich erstmals, als das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Winterspiele 2014 an den Urlaubsort Sotschi vergab.

Putin hatte sich direkt und auf Englisch an die IOC-Mitglieder gewandt und überzeugend argumentiert, dass die Spiele für die Zukunft Russlands wichtig seien: "Sie werden Russland als junger Demokratie helfen."

Im Mai 2008 gewann Russland die Eishockey-WM. Im Juni begeisterte Russland bei der Fußball-EM und unterlag erst im Halbfinale Spanien. Und dann gab es noch den Eurovision Song Contest, einen jährlichen Wettbewerb zwischen (selten hochklassigen) europäischen Popsängern, den Russlands Vertreter Dima Bilan mit seinem Titel "Believe" gewann. Auch dies trug dazu bei, ein Gefühl von Nationalstolz wieder aufleben zu lassen, es reichte vom Kreml bis auf die Straßen.

Witze über das Duo Putin-Medwedjew

Auf besondere Ereignisse, seien sie nun gut oder schlecht, reagieren die Russen gewohnheitsmäßig mit schwarzem Humor. Die Ereignisse des Jahres 2008 bildeten hier keine Ausnahme. Ein Witz bringt die Hybris, die Putin und Co. empfanden, auf den Punkt: Putin und Medwedjew reden über ihre neu entdeckte Unbesiegbarkeit.

"Eurovision, Eishockey, Fußball, reibungslose Übergabe des Präsidentenamtes - was für ein Lauf!", sinniert Medwedjew. Daraufhin Putin, begeistert: "Stimmt. Zeit, den Dritten Weltkrieg auf den Weg zu bringen." Doch wie üblich kam der Hochmut vor dem Fall.

Der Fall begann mit einem Ereignis, das Putin als gewaltigen Triumph empfand - seinem Blitzkrieg im August gegen Georgien. Ja, der Kreml schaffte es, die Hoffnung des aufsässigen georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili zu zerschmettern, sein Land mit Gewalt wieder zu vereinigen. Doch die Welt betrachtete Russlands Attacke gegen diesen mickrigen Gegner als Versuch, ein untergegangenes Reich nach Schlägermanier wiederzuerrichten.

Alle Gewissheiten, die in Europa nach dem Kalten Krieg galten, schmolzen dahin - und mit ihnen Putins Ruf als zuverlässiger Verwalter der russischen Volkswirtschaft. Eine Kapitalflucht aus dem Land setzte ein, die vielleicht nicht von Bedeutung gewesen wäre, wäre die Weltkonjunktur im September nicht derart abgestürzt. Aber das tat sie und riss dabei die russische Wirtschaft mit sich.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso China und der Westen nun in Opposition zu Russland stehen.

Die Reserven, die Russland während des Ölbooms anhäufen konnte, versickern seitdem stetig, und angesichts fallender Ölpreise dürften sie auch nicht so schnell wieder aufzufüllen sein. Dies könnte sich als verheerend erweisen, da alle finanzpolitischen Annahmen Russlands darauf beruhen, dass die hohen Ölpreise noch über Jahre hinaus bestehen.

Trotzdem versucht Putin, die Krise durch Geldausgeben zu überwinden. Doch der Erfolg dieser Bemühungen ist unwahrscheinlich, weil es der staatlich gelenkten Wirtschaft - wo ehemalige KGB-Agenten jetzt in den Spitzenpositionen der meisten Staatsunternehmen sitzen - sowohl an Flexibilität als auch an Diversifizierung fehlt, um schnell wieder auf die Füße zu kommen.

Mehr noch: Angesichts der Tatsache, dass die Animosität zwischen Ost und West ihren Höhepunkt seit dem Ende des Kalten Krieges erreicht hat, sehen sich Russlands Handelspartner nervös nach anderen Optionen um. Dies könnte bedeuten, dass Putin auch Russlands langfristige Aussichten beschädigt hat, mit einem auf den Export gestützten Aufschwung aus der Krise herauszukommen.

Tatsächlich hat der Krieg gegen Georgien nicht nur den Westen, sondern auch China in Opposition zu Russland gebracht. Es hat ein vitales Interesse daran, die geostrategische Ordnung beizubehalten, wie sie sich nach dem Kalten Krieg herausgebildet hat. Schließlich hat China keineswegs den Wunsch, an seinen Grenzen die Wiederauferstehung der Sowjetunion zu erleben.

Darüber hinaus hat der Krieg gegen Georgien den Mangel an Substanz des russischen Militärs offen gelegt. Ja, es könnte die meisten ehemaligen Sowjetstaaten zerschmettern. Doch das Auftreten der Armee in Georgien zeigt, dass sie dieselbe schwerfällige, schlecht motivierte Organisation ist wie in den neunziger Jahren.

Nun, da Amerika nicht länger mit einem weltweit verabscheuten Präsidenten belastet ist, hat Putin eines der zentralen Werkzeuge verloren, das ihm bei der Stärkung Russlands geholfen hat. Bush eins auszuwischen, dies war in den Augen der meisten Menschen, insbesondere in Europa, eine gute Sache. Doch nun Barack Obama mit der Drohung zu begrüßen, Raketen an Europas Grenzen zu stationieren, so wie es Medwedjew am Tag nach den US-Wahlen getan hat, hat der Welt erneut vor Augen geführt, was die Art des Kreml ist: Tollpatschigkeit.

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Quelle:
SZ vom 27.12.2008/mati
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