Russland:"Friedensspiel" zum Siegestag

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Symbol in Wolgograd: DFB-Chef Reinhard Grindel (links) und der Generalsekretär des russischen Fußball-Verbandes, Alexander Alajew. (Foto: Getty Images)

In Wolgograd spielen Russen und Deutsche gegeneinander eine Runde Fußball - um gemeinsam zu erinnern und zu versöhnen.

Von Julian Hans, Wolgograd

Am Ende ist doch alles einigermaßen glimpflich ausgegangen. Nicht das Spiel, das die deutsche Mannschaft mit 3:1 gewonnen hat. Viel heikler waren der Ort, die Zeit, die Symbolik. Noch ein Monat bis zur Fußball-Weltmeisterschaft in Russland. Die Atmosphäre zwischen Moskau und dem Westen ist angespannt. Aber heute ist der Tag vor dem 9. Mai, an dem Russland den Sieg der Sowjetunion über Hitlerdeutschland begeht. Es treten gegeneinander an: die U18-Nationalmannschaften Deutschlands und Russlands. Schauplatz ist ein kleines Stadion in Wolgograd, dem einstigen Stalingrad.

Im Geheimen verstehen sich die Deutschen auch als Weltmeister der Vergangenheitsbewältigung

Als "Friedensspiel" hat der Deutsche Fußballbund die Begegnung angekündigt. Und als der russische Stürmer Gamid Agalarow in der 75. Minute endlich den Anschlusstreffer schießt, kommt tatsächlich Stimmung auf bei den 3000 Besuchern im kleinen Zenit-Stadion. "Russland, Russland", rufen sie, und DFB-Präsident Reinhard Grindel, der mit Vertretern der Stadt und des Gebiets Wolgograd auf der Tribüne sitzt, kann erleichtert sein. Hinterher wird er sagen: "Dass am 8. Mai, in Wolgograd, dem früheren Stalingrad, die deutsche Nationalhymne gespielt wurde, und sich alle gefreut haben, ist ein Wunder".

Die Deutschen sind ja nicht nur Fußball-Weltmeister. Im Geheimen verstehen sie sich auch als Weltmeister in Vergangenheitsbewältigung. Aber nicht immer und nicht überall werden ihre Versöhnungsoffensiven gleich gut verstanden. Am Tag nach dem Spiel stehen die Fußballer wieder auf einem Feld. Ein kräftiger Wind weht den würzigen Duft von Wermutkraut über die Steppe. Unter dem Gras ruhen 62 000 Soldaten der Wehrmacht. Auf der anderen Seite einer schmalen Straße liegt der Friedhof für 15 000 sowjetische Soldaten. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hat beide Friedhöfe angelegt und dazu eine kleine Schule gebaut für das Dorf Rososchka, 35 Kilometer außerhalb von Wolgograd, das von der Wehrmacht vernichtet wurde und nach dem Krieg neu errichtet werden musste.

Auf beiden Friedhöfen legen die Mannschaften Kränze nieder. Dass die Nachfahren der Männer, die einst als Soldaten aufeinander geschossen haben, heute friedlich gegeneinander Fußball spielen, ist ein schönes Symbol. Eines, das zum Bild vom Völker verbindenden Fußball passt, das die Fifa gern bemüht, erst recht vor der umstrittenen Weltmeisterschaft in Russland. Nur ist die Wirklichkeit oft komplizierter. Für die Deutschen trägt Yann Aurel Bisseck das Trauergebinde. Der hoch gewachsene 17-Jährige ist die große Nachwuchshoffnung des 1. FC Köln und der Kapitän der deutschen U18-Mannschaft. Und seine Hautfarbe ist Schwarz. Dass ein Vorfahre des Kölners am Russland-Feldzug der Wehrmacht teilgenommen haben könnte, ist schwer vorstellbar. Als eine Vertreterin des Volksbundes die Spieler ermuntert, im Buch mit den Namen der Gefallenen nachzusehen, ob sie vielleicht den Nachnamen eines Verwandten finden, fragt einer aus der Mannschaft: "Gibt es da auch türkische Namen?"

Grindel hat dann die Aufgabe, den großen Bogen zu schlagen und er muss viel unterbringen: Kriegsgedenken, deutsch-russische Versöhnung, den Fußball natürlich und auch eine Prise Kritik: Das historische Datum sei bewusst gewählt, sagt er: "in einer Situation, in der das Erinnern hier in Russland manchmal auch dazu benutzt wird, neue Stärke zu demonstrieren, wollten wir ein Zeichen der Versöhnung dagegen setzen", sagt er. "Und natürlich ein Zeichen in der Richtung, dass die Achtung der unveräußerlichen Menschenrechte die beste Versicherung ist gegen Totalitarismus und Diktatur". Zu sagen "nie wieder Krieg", bedeute auch, dass nie wieder andere Menschen angegriffen oder lächerlich gemacht werden dürften, weil sie etwa eine andere Hautfarbe haben oder sich zu einer anderen Religion bekennen.

Viel größere Schwierigkeiten hat ein Mann gemacht, dessen Verbindung zu Stalingrad eindeutig ist. Als die Ortspresse zwei Wochen vor der Veranstaltung erfuhr, dass das Ost-West-Wirtschaftsforum Bayern plant, eine Büste von Franz Josef Strauß auf dem Flughafen von Wolgograd aufzustellen, gibt es Entrüstung. Strauß hat als Offizier der 6. Armee vor Stalingrad gekämpft. "Kein Denkmal für die Faschisten in Wolgograd!", schreibt die Komsomolskaja Prawda.

Die Vorgeschichte von Strauß hätte ihn vorsichtig machen müssen, räumt Christian Holtz ein. Der Arzt aus Denkendorf in Oberbayern betreibt seit Jahrzehnten seine eigene Ostpolitik auf Bürgerebene. Die Friedenskapelle auf dem Soldatenfriedhof von Rososchka, mit lateinischem und mit orthodoxem Kreuz, war seine Initiative. Dass das mit Strauß eine weniger gute Idee war, will er nicht einsehen. Gorbatschow habe doch auch den Strauß-Preis in München entgegengenommen. "Wissen Sie, die Grundaussage ist: Strauß ist ein Europäer. Und Wolgograd und Russland gehören zu Europa", sagt Holtz.

Der Volksbund wollte eigentlich seine Informationstafeln am Friedhof von Rososchka erneuern. Eine neue Ausstellung war schon fertig. Aber nach dem Rummel um die Büste hat die Gebietsverwaltung dies verweigert. Sie wird jetzt überarbeitet. Holtz ist dagegen überzeugt, dass die Zeit für Strauß noch kommen wird. "Es ist zwar das Porzellan runtergefallen mit einem lauten Knall, aber es ist nicht kaputtgegangen."

© SZ vom 12.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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