Süddeutsche Zeitung

Russland-Europa:Moskau wird persönlich

Der EU-Parlamentspräsident, Berlins höchster Staatsanwalt und andere werden mit Einreiseverboten belegt. Das ist die Retourkutsche für Sanktionen wegen des Falls Nawalny.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Wenn das Europaparlament über Außenpolitik debattiert, dann gehören die Reden von Reinhard Bütikofer zu den klarsten. Der vergangene Mittwoch war da keine Ausnahme. "Wenn ein autoritäres Regime beansprucht, Parlamentarier, wo auch immer diese leben, zu bestrafen, weil sie von der Meinungsfreiheit Gebrauch machen und sich gegen brutale Menschenrechtsverletzungen wenden, was bleibt dann noch von den Freiheiten, die im Zentrum unseres europäischen Denkens, Fühlens und Wirkens stehen?" Der Grüne sprach eigentlich über China, das ihn und vier weitere Europaabgeordnete Ende März für ihre Kritik mit Einreiseverboten belegt hatte.

Bütikofers Plädoyer für Standhaftigkeit passt aber auch zum Umgang mit Russland, das am Freitag das EU-Parlament attackierte: Parlamentspräsident David Sassoli ist der prominenteste der acht Europäer, die Moskau mit Sanktionen belegt hat. Erst am Donnerstag hatte eine große Mehrheit der EU-Abgeordneten für eine Entschließung gestimmt, die vor allem den russischen Militäraufmarsch an der Grenze zur Ukraine und auf der illegal besetzten Krim verurteilt und für den Fall eines russischen Einmarsches fordert, Russland "einen hohen Preis" zahlen zu lassen.

Moskaus Sanktionen sind eine Reaktion auf die Kontensperrungen und Einreiseverbote, welche die EU als Reaktion auf die Inhaftierung des Oppositionellen Alexej Nawalny gegen ranghohe russische Staatsfunktionäre verhängt hatte. Diese Schritte waren wochenlang vorbereitet worden, denn jede Person kann gegen EU-Sanktionen klagen.

Brüssel und Berlin nennen die Sanktionen "inakzeptabel" und "inhaltlich unbegründet"

Russlands Antwort dürfte das miserable Verhältnis zur EU weiter verschlechtern. Für die 27 EU-Staaten nannte der Außenbeauftragte Josep Borrell die Maßnahmen "inakzeptabel und ohne rechtliche Begründung". Auch die Spitzen von EU-Kommission, Europäischem Rat und Europaparlament - Ursula von der Leyen, Charles Michel und Sassoli - verurteilten den Schritt scharf und drohten mit Gegenmaßnahmen. Mit einem Einreiseverbot belegt wurde auch Vizekommissionspräsidentin Věra Jourová sowie der Sonderberichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, der für den Fall der Vergiftung Nawalnys zuständig ist.

Nicht mehr nach Russland einreisen darf auch der Berliner Oberstaatsanwalt Jörg Raupach. Moskau hatte deutschen Behörden vorgeworfen, Rechtshilfegesuche russischer Ermittler zu Nawalnys Vergiftung angeblich nicht ausreichend beantwortet zu haben. Die Bundesregierung wies die Einreisesperren auf "das Deutlichste" zurück und erklärte: "Die Maßnahmen der Russischen Föderation sind - anders als die im März durch die EU gegen russische Verantwortliche wegen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen verhängten Maßnahmen - inhaltlich unbegründet."

Bei einem EU-Sondergipfel Ende Mai werden die Staats- und Regierungschefs über Russland beraten. Per Twitter versprach EU-Kommissarin Jourová, weiter für Menschenrechte, Medienfreiheit und Demokratie einzutreten. Über das Einreiseverbot sagte die Tschechin: "Wenn dies der Preis dafür ist, die Wahrheit zu sagen, dann zahle ich ihn gerne."

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