Nato-Außengrenze:Russland entfernt Leuchtbojen aus Grenzfluss zu Estland

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Der Grenzfluss Narva zwischen Russland (im Hintergrund die Festung Iwangorod) und Estland. (Foto: Janis Laizans/Reuters)

Der estnische Grenzschutz verlangt von Moskau Aufklärung über den Zwischenfall. Die Regierung erinnert daran, dass Russland mit solchen Provokationen seit Jahren Ängste schüren will.

Von Matthias Kolb

Die estnische Grenzpolizei wirft Russland vor, in der Nacht auf Donnerstag mehr als 20 Leuchtbojen aus dem Grenzfluss Narva entfernt zu haben. Einer Mitteilung der estnischen Behörde zufolge dienten die Bojen dazu, die Routen für den Schiffsverkehr zu markieren. Der Generaldirektor der Behörde, Egert Belitšev, sprach am Donnerstagnachmittag vor Journalisten von einer "offensichtlichen Provokation". Die estnischen Grenzschützer hätten in der Nacht nicht eingegriffen, um eine Eskalation zu vermeiden. Er rate allen Staatsbürgern, möglichst vorsichtig zu sein und kein russisches Staatsgebiet zu betreten.

Eerik Purgel, der für Ostestland zuständige Grenzschützer, erklärte, man werde die russischen Grenzschützer kontaktieren, um mehr über die Hintergründe der Aktion "und die Rückgabe der Bojen" zu erfahren. Estland ist seit 2004 Mitglied der Europäischen Union und des Verteidigungsbündnisses Nato und hat eine knapp 300 Kilometer lange Grenze mit Russland.

Russland provoziert Estland seit Jahren

In Tallinn sagte Regierungschefin Kaja Kallas in einer Pressekonferenz ebenfalls, dass die genauen Umstände aufgeklärt werden müssten. "Wir werden uns diesen Fall nüchtern und ausgewogen ansehen und uns gegebenenfalls mit unseren Verbündeten absprechen", sagte sie. Er passe ins Bild ähnlicher russischer Aktionen und sei ein Versuch, Angst zu verbreiten. Etwa 20 Prozent der estnischen Bevölkerung ist russischsprachig.

Außenminister Margus Tsahkna sagte dem estnischen Rundfunk zufolge, dieses Ereignis müsse "sehr ruhig" angegangen werden, da Russland sich sehr provozierend verhalte. Ähnliche Grenzvorfälle habe es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben, so verletze Russland regelmäßig den Luftraum Estlands. Dieser wird ebenso wie die Lufträume Lettlands und Litauens von Nato-Partnern überwacht, da die baltischen Republiken nicht über eigene Kampfflugzeuge verfügen.

Ein Grund für die estnischen Sorgen dürfte der Zeitpunkt des Zwischenfalls sein. Denn kurz vor der Entfernung der Bojen hatten die russische Nachrichtenagentur Tass und die Moscow Times berichtet, dass das russische Verteidigungsministerium beabsichtige, die Grenzen innerhalb der Ostsee zu verschieben. Sowohl Tass als auch Moscow Times bezogen sich auf einen Entwurf im Portal für Rechtsakte der russischen Regierung, das aber zunächst nicht in Ländern wie Deutschland, Schweden oder Finnland einzusehen war.

Dem Bericht von Tass zufolge sollte "die Breite der Festlandküste und der Ostseeinseln definiert und die Grenzlinie in Russlands westlichstem Kaliningrader Gebiet geändert" werden. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters berief sich das Ministerium auf kartografische Ungenauigkeiten bei einer Messung 1985, also noch zu Zeiten der Sowjetunion. Diese seien nicht in Einklang mit den aktuellen kartografischen Koordinaten. Am Mittwochnachmittag wurde bekannt, dass der Entwurf von dem Dokumentationsportal genommen und laut Reuters "gelöscht" wurde.

Bis zur russischen Vollinvasion der Ukraine gab es keine Streitigkeiten

In Berlin hatte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes erklärt, dass die Berichte auf "Provokation und Verunsicherung" hindeuteten, die die russische Politik als Mittel einsetze. Es gebe noch viele Unklarheiten. "Aber grundsätzlich gilt: Derartige Abgrenzungen können nicht unilateral vorgenommen werden, sondern würden zunächst eine Einigung der betroffenen Nachbarstaaten erfordern", sagt sie laut Reuters.

Nach Angaben der estnischen Grenzschutzbehörde verändere sich das Bett des Flusses Narva, sodass jeden Frühling die Markierungen für den Schiffsverkehr kontrolliert würden. Vor dem Beginn des vollumfänglichen Krieges Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 seien die Bojen "weitgehend im gegenseitigen Einvernehmen" installiert worden.

2023 sei Russland nicht mehr mit der "estnischen Position bezüglich der Orte der Bojen" einverstanden gewesen. Estland habe die Bojen trotzdem so angebracht wie im Jahr 2022, damit estnische Fischer oder Freizeitsportler nicht versehentlich in russischen Gewässern landen, so Grenzschützer Purgel.

In diesem Jahr habe Russland mitgeteilt, mit der Positionierung von etwa der Hälfte der 250 Messmarken nicht einverstanden zu sein, heißt es in der estnischen Mitteilung. Estland habe am 13. Mai dennoch die ersten 50 Leuchtbojen in der Narva angebracht, und zwar an jenen Stellen, auf die sich beide Seiten 2022 geeinigt hätten. "Der estnische Grenzschutz erwartet nun, dass Russland Beweise vorlegt, dass sich die bisher vereinbarte Schifffahrtsroute verändert hat", teilte Eerik Purgel mit. Sollten keine Belege präsentiert werden, werde Estland die Installation von Bojen fortsetzen.

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