Maas bei Lawrow:Einig sind sie sich nur bei der Gas-Pipeline

Maas bei Lawrow: 50 Jahre nach dem Besuch Willy Brandts im Kreml: Außenminister Heiko Maas (li.) trifft sich in Moskau mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow.

50 Jahre nach dem Besuch Willy Brandts im Kreml: Außenminister Heiko Maas (li.) trifft sich in Moskau mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow.

(Foto: AP)

Außenminister Maas reist in der Corona-Pandemie nach Russland - gerade weil es gewaltig knirscht im Verhältnis zwischen Berlin und Moskau.

Von Daniel Brössler, Moskau/St. Petersburg

Sergej Lawrow, der alte mürrische Mann der russischen Außenpolitik, hat etwas vorbereitet für seinen Gast. Ein Papier. Beide Seiten, steht da, betrachteten es "als wichtigen Teil ihrer Politik, den internationalen Frieden aufrechtzuerhalten und die Entspannung zu erreichen". Heiko Maas soll das nur anschauen, unterschrieben ist es schon.

Vor 50 Jahren, am 12. August 1970, setzten für die Bundesrepublik Willy Brandt und Walter Scheel im Kreml ihre Namen unter diesen Moskauer Vertrag, der die Weichen stellte für eine neue Ostpolitik. Es ist, während sich die beiden Minister über den historischen Vertrag beugen, allerdings nur ein kurzer Moment der Sentimentalität. "Wo es Klärungsbedarf gibt, dort sucht man am besten das offene Wort", erklärte Maas vor seinem Abflug, warum er inmitten der Corona-Pandemie für einen Tag nach Russland reist. Es sei ja kein Geheimnis, "dass wir nicht zuletzt wegen des Mordes im Berliner Tiergarten, den der Generalbundesanwalt staatlichen russischen Stellen zuschreibt, im vergangenen Jahr in schwieriges Fahrwasser geraten sind".

Der Besucher hat zwei Vorwürfe mitgebracht

Maas reist sonst wenig in diesen Tagen und nur ausnahmsweise in jenen riesigen Teil der Welt, den das Robert-Koch-Institut als Risikogebiet ausweist. Allein in Moskau sind mit knapp 250 000 positiv Getesteten mehr Corona-Fälle registriert als in ganz Deutschland. Von der Reise hat das Maas nicht abgehalten. "Das deutsch-russische Verhältnis ist zu wichtig, um es sich selbst zu überlassen", sagt er. Der Tiergarten-Mord an einem Georgier, der zur Ausweisung von je zwei Diplomaten aus Deutschland und Russland geführt hatte, und ein Hacker-Angriff auf den Bundestag haben das seit Beginn des Ukraine-Krieges angespannte Verhältnis zusätzlich kompliziert - was, wie Maas findet, nicht so bleiben kann.

Er will mit Lawrow über die Ukraine sprechen, über Libyen, Syrien und das iranische Atomprogramm. "Weil wir wissen, dass wir für die vielen Konflikte und Krisen auf der Welt auch Russland brauchen, um eine Lösung herbeizuführen, ist es wichtig, dass wir uns auch bilateral gut verständigen", sagt er zu Beginn seines Gesprächs mit seinem russischen Kollegen. Dazu gehöre, dass "die schwierigen Themen" wie Tiergarten-Mord und Hacker-Angriff "auch im Rahmen solcher Gespräche offen angesprochen werden können".

Der Gastgeber kontert mit einem Gegenangriff

Lawrow weist die so formulierten Vorwürfe nicht ganz unerwartet als "haltlos" zurück und kontert mit einem Gegenangriff. Das russische Zentrum für Cybersicherheit habe zwischen Anfang 2019 bis Ende Mai 2020 in 75 Fällen Cyberangriffe gegen Russland "ins deutsche Segment" zurückverfolgt. In 65 Fällen habe man sich an die deutschen Behörden gewandt, aber nur in sieben davon eine Antwort erhalten. Offen zu reden sei ja gut, sagt Lawrow, aber man müsse doch auch konkret handeln. Endlich habe sich, verkündet er ein wenig theatralisch, die deutsche Seite auf Gespräche auf Expertenebene eingelassen. Und was den Tiergartenmord betreffe, so sei die deutsche Seite Beweise für die Beteiligung staatlicher Stellen in Russland schuldig geblieben. 17 erfolglose Anfragen habe es aus Deutschland gegeben, zählt Maas daraufhin auf. Von zwei Rechtshilfeersuchen sei nur eines "zur Hälfte" beantwortet worden. "Wir haben getan, was in unseren Möglichkeiten stand. Das ist nun einmal jetzt erschöpft", sagt Maas. Nun komme es auf das Berliner Gerichtsurteil an. Stelle es die Beteiligung russischer Stellen fest, "muss man damit rechnen, dass wir darauf auch noch einmal reagieren".

Ziemlich einig scheinen sich die beiden Minister nur bei der Gas-Pipeline Nord Stream 2 zu sein, welche die USA mit Sanktionen noch auf den letzten Metern stoppen wollen. Kein Staat habe "das Recht, Europas Energiepolitik mit Drohungen zu diktieren", stellt Maas klar. Da stimme er "Heiko" zu, sagt Lawrow. Solche Sanktionen halte Russland aber für ebenso unrechtmäßig wie die der EU gegen Russland, fügt er hinzu, womit es um die Einigkeit schon wieder geschehen wäre.

Deutschland finanziert Krankenhauses für Kriegsveteranen

Um trotz aller Konflikte ein doch noch freundliches Zeichen zu setzen, fliegt Maas von Moskau nach St. Petersburg weiter. Deutschland finanziert als "humanitäre Geste" in der ebenfalls von der Corona-Pandemie gebeutelten Stadt die Modernisierung eines Krankenhauses für Kriegsveteranen, in dem auch Opfer der Leningrad-Blockade durch die deutsche Wehrmacht behandelt werden. Mit Finanzhilfe aus Deutschland wurde außerdem ein deutsch-russisches Begegnungszentrum für überlebende Blockadeopfer in St. Petersburg eingerichtet. "Fassungslos und voller Scham" blicke er auf die Schicksale und Erinnerungen der Überlebenden. Sie stünden "für die unerträgliche Brutalität", mit der die deutsche Wehrmacht das damalige Leningrad und seine Bewohner habe vernichten wollen. "Ein Kriegsverbrechen, begangen von Deutschen. So barbarisch, dass man die Bitte um Vergebung auch 75 Jahre nach Kriegsende kaum auszusprechen wagt als deutscher Außenminister", sagt Maas.

Am Ehrenmal für die Verteidiger von Leningrad legt er einen Kranz nieder, und auf der Dachterrasse eines Hotels trifft er sich mit zwei Überlebenden. Die "humanitäre Geste" sei gedacht als "aufrichtiges Bekenntnis" zu deutscher Verantwortung für millionenfaches Unrecht. "Getragen wird sie", sagt Maas, "von unserem tiefen Wunsch nach Versöhnung."

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