Süddeutsche Zeitung

EU-Russland:Der Zeitpunkt ist kein Zufall

Russland weist Diplomaten unter anderem aus Deutschland aus - ausgerechnet, als der EU-Außenbeauftragte Borrell in Moskau weilt. Das macht die Stimmung noch frostiger.

Von Matthias Kolb und Frank Nienhuysen

Die beiden Männer geben sich wenig Mühe, ihre Differenzen zu verbergen. "Für Russland ist die EU ein unzuverlässiger Partner", sagt Sergej Lawrow in der Pressekonferenz, für die Russlands Außenminister sein Gespräch mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell unterbrochen hat. Dieser nutzt seinen Antrittsbesuch in Moskau, um die Forderung der EU nach der sofortigen Freilassung des Kremlkritikers Alexej Nawalny sowie von dessen Anhängern zu wiederholen. Ein Gericht hatte Nawalnys Bewährungsstrafe von dreieinhalb Jahren in eine Gefängnisstrafe umgewandelt.

Was die Stimmung weiter getrübt hatte, wird erst nach Ende der Pressekonferenz bekannt: Russland weist drei Diplomaten aus Deutschland, Schweden und Polen aus, weil sie angeblich an den Nawalny-Protesten teilgenommen haben. Per Twitter berichtet Borrell am Freitagabend, dass er während des Treffens von der Entscheidung erfahren und diese "scharf verurteilt" habe.

Beeindruckt hat dies Russland nicht. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) nennt den Rauswurf eines Mitarbeiters der Botschaft Moskau "in keiner Weise gerechtfertigt", sie beschädige das russische Verhältnis zu Europa weiter. Sollte der Schritt vollzogen werden, so "wird er nicht unbeantwortet bleiben". Auch Polen und Schweden wiesen die Anschuldigungen umgehend zurück.

Dass es diese drei Länder nicht zufällig trifft, darf als sicher gelten: In Deutschland erholte sich Nawalny nach dem Mordversuch mit dem Kampfstoff Nowitschok, die Polen sind neben den Balten die lautesten Putin-Kritiker in der EU, und Schweden hat gerade den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) inne, der auch Russland angehört. Für den EU-Chefdiplomaten, der stets für Dialog wirbt, kommt der Zeitpunkt einer Demütigung gleich: Präsident Wladimir Putin versetzt Borrells ausgestreckter Hand einen Schlag.

Vor Borrells Besuch hatte es Warnungen gegeben

Die Ausweisungen passen zur frostigen Stimmung der Pressekonferenz. Borrell spricht davon, dass die bilateralen Beziehungen "in den letzten Jahren von grundlegenden Unterschieden und mangelndem Vertrauen" geprägt gewesen seien. Er erinnerte Lawrow daran, wer für Russland der wichtigste Handelspartner und die größte Quelle für ausländische Direktinvestitionen ist: die EU. Er wies den Vorwurf zurück, sich mit ihrer Kritik an Nawalnys Verhaftung in innere Angelegenheiten Russlands einzumischen. Fragen wie Rechtsstaatlichkeit, politische Freiheit oder eine aktive Zivilgesellschaft seien zentral für eine gemeinsame Zukunft.

Lawrow und Borrell betonten, bei Themen wie Klimawandel, dem Kampf gegen die Pandemie oder dem Iran-Nuklearabkommen zusammenarbeiten zu wollen, auch wenn man sich in vielen Fragen uneins sei. Lawrow nutzte den Auftritt auch dazu, dem Westen Doppelstandards vorzuwerfen und die seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim bestehenden Sanktionen zu kritisieren.

Ende Januar hatte Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis in der SZ davor gewarnt, dass Russlands Regierung Borrells Besuch "für ihre Propaganda ausschlachten" werde. Die Sorge erwies sich als berechtigt: Moskauer Journalisten sprachen Borrell auf angebliche Menschenrechtsverletzungen in Lettland, US-Sanktionen gegen Kuba sowie ein Video des russischen Außenministeriums an. Dieses dokumentiert brutales Vorgehen von Polizisten in Tschechien, den USA oder Frankreich - und soll die westliche Kritik an den gewaltsamen Reaktionen der russischen Einsatzkräfte gegen Demonstranten kontern. Er kenne das Material nicht, sagte Borrell und verurteilte die Entscheidung von Donald Trump, Kuba auf die Terrorliste gesetzt zu haben.

Auf die Frage, ob die EU weitere Sanktionen gegen Russland plane, sagte Borrell, dass die Außenminister am 22. Februar über mögliche Maßnahmen sprechen wollen. Zudem werden die Staats- und Regierungschefs im März über Russland sprechen. Tagelang hatten EU-Diplomaten mit dem Umfeld Nawalnys auszuloten versucht, ob ein Treffen mit Borrell dem Kremlkritiker nutzen oder schaden würde. Nach dem Urteil am Mittwoch hieß es in Brüssel: Wenn Borrell Nawalny im Gefängnis besucht hätte, so hätte dies eine Anerkennung der Verurteilung bedeutet.

Er musste sich am Freitag in einem weiteren Verfahren vor dem Moskauer Babuschkinski-Gericht wegen Verleumdung verantworten. Er hatte es 2020 auf Twitter als "Schande" bezeichnet, als sich mehrere Russen in einem Video für die umfangreichen Verfassungsänderungen aussprachen. Einer von ihnen ist ein Weltkriegsveteran. Nawalny sprach von einem "PR-Prozess" und wies jede Schuld von sich. Ihm droht eine Strafe von bis zu einer Million Rubel, etwa 11 000 Euro, oder 240 Stunden Arbeitseinsatz. In der Verhandlung saßen auch Vertreter der Botschaften Frankreichs und Großbritanniens.

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