Süddeutsche Zeitung

Russland:"Ich habe mich noch nie so geschämt für mein Land"

Ein russischer Diplomat schmeißt hin. In seinem Rücktrittsbrief nennt er den Krieg ein "Verbrechen gegen das ukrainische Volk". Seinem bisherigen Chef wirft er "Lügen und Unprofessionalität" vor.

Von Frank Nienhuysen

Ein russischer Diplomat hat nach 20 Jahren Dienst für das Moskauer Außenministerium wegen des Kriegs in der Ukraine seinen Rücktritt erklärt und dabei heftige Kritik geübt. Boris Bondarjew schrieb in einem auf Englisch verfassten Brief, dass er von 2019 an bis jetzt Berater der russischen Mission bei den Vereinten Nationen in Genf gewesen sei. Er habe in zwei Jahrzehnten mehrmals Veränderungen in der russischen Außenpolitik erlebt, doch noch nie habe er sich "so geschämt für mein Land wie am 24. Februar", dem Beginn der Angriffe.

Bondarjew schreibt in seinem Brief: "Der von Putin entfesselte Krieg gegen die Ukraine, und faktisch gegen die gesamte westliche Welt, ist nicht nur ein Verbrechen gegen das ukrainische Volk, sondern auch, womöglich, das schwerste Verbrechen gegen das russische Volk." Der diplomatische Berater bedauert zuzugeben, dass im Verlauf der 20 Jahre "das Ausmaß an Lügen und Unprofessionalität in der Arbeit des Außenministeriums stets zugenommen hat".

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Der Brief des russischen Diplomaten in Genf kommt einer Abrechnung mit dem Kurs von Außenminister Sergej Lawrow gleich, den er auch namentlich in seinem Brief harsch kritisiert. Lawrow habe sich nach Ansicht Bondarjews von einem "professionellen und gebildeten Intellektuellen zu einer Person entwickelt, die sich permanent widersprüchlich geäußert" habe und der Welt, "Russland inklusive", mit Atomwaffen droht. Bondarjew beklagt sich auch darüber, dass sein Land sich international immer stärker isoliert habe.

Aus dem russischen Außenministerium gab es bisher keine Reaktion auf den ungewöhnlichen Rücktrittsbrief des Diplomaten. Seit Februar haben immer wieder russische Künstlerinnen, Geschäftsleute und Medienvertreter den Krieg gegen die Ukraine kritisiert. Der bekannteste und ranghöchste Vertreter Russlands, der das Land verlassen hat, ist Ex-Vizepremier Anatolij Tschubajs. Der Sonderbeauftragte von Präsident Wladimir Putin für die Beziehungen zu internationalen Organisationen hat sich allerdings nicht offen und ausdrücklich, sondern verklausuliert über den Kurs Moskaus geäußert.

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