Russland:Die "riesige Tragödie" - umformatiert zur Fußnote

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"In absehbarer Zeit" werde der Krieg gegen die Ukraine enden, teilte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow nebulös mit. (Foto: Sputnik/Reuters)

Erstmals räumt Putins Sprecher bedeutende Verluste der eigenen Truppen im Ukraine-Krieg ein. In russischen Medien aber geht diese Nachricht unter.

Von Frank Nienhuysen, München

Der Kreml hat schon oft das eine gesagt und das Gegenteil getan, das macht Deutungen schwierig. Am Donnerstagabend sagte der russische Präsidentensprecher Dmitrij Peskow in einem Interview mit dem Fernsehsender Sky, dass die russische "Spezialoperation" - faktisch der Angriffskrieg gegen die Ukraine - schon in den nächsten Tagen oder in absehbarer Zeit beendet werden könnte. Als am Freitag russische Journalisten nachhakten, ob er nun in den nächsten Tagen gemeint habe oder in absehbarer Zeit, antwortete Peskow: "In absehbarer Zeit." Als Grund nannte er, dass zum einen die Ziele erreicht würden, zum anderen wies er auf die laufenden Verhandlungen mit der ukrainischen Seite hin. In seinem Sky-Interview räumte Peskow auch noch dies ein: Die russischen Streitkräfte hätten in der Ukraine "bedeutende Verluste" erlitten. Dies sei "für uns eine riesige Tragödie".

Gesteht der Kreml damit auf verklausulierte Art eine Niederlage ein, ist es das Eingeständnis, dass die Attacken Russland kaum noch Vorteile bringen und besser beendet werden? Das glaubt nicht einmal die ukrainische Führung, die vor weiteren massiven Angriffen Russlands warnt, vor allem im Süden und Osten der Ukraine. Immerhin, Peskows Worte einer "riesigen Tragödie" sind nun in der Welt. Allerdings kaum in der russischen Welt.

Ein Querblick durch die russischen Medien zeigt, dass die Formulierung allenfalls pflichtschuldig erwähnt wird. Die Zeitung Iswestija etwa schreibt am Freitag lieber ausführlicher von den "Heldentaten der russischen Soldaten zum Schutz der Zivilbevölkerung des Donbass". Im Verlaufe einer "erfolgreichen Operation" habe eine motorisierte Schützeneinheit "neun feindliche Panzer und 30 ukrainische Nationalisten vernichtet". Große Themen in Russland waren am Freitag der Abschied vom gestorbenen, rechtsextremen Politiker Wladimir Schirinowskij, Auswirkungen der Sanktionen, am Rande auch die Attacke auf den Friedensnobelpreisträger Dmitrij Muratow, der mit einer ätzenden roten Farbe übergossen wurde. Die "riesige Tragödie", von der Peskow sprach, die sich aber nur sehr klein in den Medien wiederfand, ist da bereits verdrängt worden. Selbst wenn Unmut stark gären sollte in der russischen Bevölkerung: Eine öffentliche Debatte ist derzeit aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung kaum vorstellbar.

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Nun soll die Gesetzeslage trotzdem noch einmal verschärft werden. Am Mittwoch wurde ein Entwurf in die russische Duma eingebracht, mit dem die Generalstaatsanwaltschaft künftig auch Medien blockieren und schließen könnte, ohne dass pro forma ein Gericht darüber entscheiden müsste. Eva Merkatschewa, Mitglied des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim russischen Präsidenten, hält dieses Gesetz "im Kern für die Einführung der Zensur". Denn mit ihm würden "absolut sämtliche kritischen Angaben, auch zu Korruption, Polizei- und Gefängnisfolter, außerhalb des Gesetzes gestellt. Leben unsere Abgeordneten in einer anderen Wirklichkeit?", fragte sie in der Zeitung Moskowskij Komsomolez. Damit dürften russische Medien praktisch nur noch offizielle Presseerklärungen verwenden.

Bisher hat die russische Führung lediglich zweimal offiziell eine Zahl getöteter Militärangehöriger in der Ukraine bekannt gegeben: 1351, am 25. März. Die ukrainische Seite schätzt dagegen mehr als 18 000 russische Opfer, wobei unklar ist, ob die Zahl auch Verletzte umfasst. Unklar ist in den Wirren des Kriegs vieles: Die Zeitung Moscow Times berichtete etwa vom Fall eines russischen Soldaten, der nach offiziellen Angaben auf Mission geschickt wurde, aber von seiner besorgten Mutter dann auf einem Telegram-Video erkannt worden sei - mit einer schweren Beinverletzung in einem Krankenhaus im ukrainischen Dnjepropetrowsk. "Das Verteidigungsministerium schrieb mir, dass das Video gefälscht ist", zitierte die Zeitung die Mutter, "aber wie könnte ich meinen Sohn nicht wiedererkennen? Er war es."

Im Fall von Todesopfern sei es so, dass jene, die nicht identifizierbar seien oder aber in der Ukraine beerdigt würden, auch nicht in der Statistik erfasst würden, sagte der Moscow Times die Anwältin Anastasia Burakowa. Viele von ihnen gehören der jungen Generation Putin an, geboren und gestorben in seiner Amtszeit. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij aber sagte dazu: "Wir wollen die russischen Toten nicht behalten."

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