Panama Papers:Der Cellist und der tote Anwalt

Panama Papers: Panama Papers

Panama Papers

(Foto: Peter M. Hoffmann)

Das Offshore-Netzwerk von Putins Freund Sergej Roldugin hat offenbar auch Geschäfte mit einer Firma gemacht, die in einen großen Steuerbetrug in Russland verstrickt ist: den Fall Magnitskij.

Von Petra Blum, Frederik Obermaier und Paul Radu

Sergej Magnitskij starb am 16. November 2009 in einer Isolationszelle des berüchtigten Matrosskaja-tischina-Gefängnisses in Moskau, im Alter von nur 37 Jahren. Sein Tod erschütterte die amerikanisch-russischen Beziehungen, Sanktionen wurden erlassen, Gegenmaßnahmen verhängt. Magnitskij war Anwalt und Wirtschaftsprüfer, er hatte für die Investmentfirma Hermitage Capital gearbeitet und einen mutmaßlichen Millionenbetrug aufgedeckt. Seinen Recherchen zufolge haben russische Beamte gemeinsam mit Kriminellen 230 Millionen Dollar aus der Staatskasse gestohlen und über ein kompliziertes Geflecht von Scheinfirmen ins Ausland geschafft. Die mutmaßlichen Hintermänner sind bis heute auf freiem Fuß.

Die Suche nach dem verschwundenen Geld führten nach Magnitskijs Tod andere fort. Sie dauert bis heute an. Die Panama Papers, jener Datenberg, den eine anonyme Quelle der Süddeutschen Zeitung zugespielt hat, zeigen nun, dass es offenbar Verbindungen gibt zwischen jenem Geflecht von Geldflüssen und Briefkastenfirmen, das Magnitskij aufdeckte, und einem der besten Freunde des russischen Präsidenten Wladimir Putin: dem Cellisten Sergej Roldugin.

So sollten 2008 laut einem in den geleakten Dokumenten enthaltenen Vertrag mehr als 800 000 Dollar von einer Briefkastenfirma aus dem Magnitskij-Fall an eine Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln fließen, die damals dem Putin-Freund Roldugin gehörte: die International Media Overseas. Diese zählte zu dem Netzwerk von Offshore-Unternehmen, über das die SZ und andere Medien Anfang April erstmals berichtet hatten. Von diesem Netzwerk sollen zahlreiche Freunde des russischen Präsidenten Wladimir Putin profitiert haben. Insgesamt flossen ausweislich der Panama Papers innerhalb weniger Jahre mehr als zwei Milliarden Dollar durch dieses Firmengeflecht.

Der große Steuerbetrug nahm offenbar im Juni 2007 seinen Lauf

Wie also sieht die Verbindung zwischen dem Fall Magnitskij und dem Roldugin-Netzwerk konkret aus? Und wie der mutmaßliche Fluss des Geldes?

Die Details sind, wie in solchen Fällen üblich, kompliziert. Der große Steuerbetrug, den Magnitskij aufdeckte und der am Anfang aller Geldtransfers steht, nahm offenbar im Juni 2007 seinen Lauf: Damals stürmten Dutzende Polizisten in Russland die Büros von Firmen des Investmentsfonds Hermitage Capital, den der Amerikaner Bill Browder gegründet hatte. Der Vorwand: Man suche Informationen über einen der Investoren. Die Beamten beschlagnahmten Siegel und Gründungsdokumente der Firmen. In Russland hat man mit den Unterlagen dieselbe Macht wie der Unternehmenseigner - auch wenn einem die Firma nicht gehört.

Mithilfe der Dokumente wurden die Firmen kurz nach der Razzia auf mutmaßliche Komplizen der beteiligten Beamten überschrieben. Andere mutmaßliche Komplizen brachten die Firmen anschließend vor Gericht mit der Behauptung, sie seien betrogen worden. Sie beschuldigten Hermitage Capital, im Jahr 2006 andere Unternehmen, von denen nie jemand gehört hatte, um eine Milliarde Dollar geprellt zu haben - und bekamen recht. In dem Jahr hatte Hermitage Capital eine Milliarde Dollar Gewinn erzielt. Diese Milliarde wurde rückwirkend aus der Bilanz getilgt.

Die mutmaßlichen Komplizen der Beamten gingen dann zum Finanzamt und verlangten eine Rückerstattung der auf den vermeintlichen Gewinn bezahlten Steuern. Prompt wurden ihnen einen Tag später 230 Millionen Dollar überwiesen. Das Geld floss unter anderem an ein Konto der russischen Universal Savings Bank.

Anschließend wurden die 230 Millionen Dollar offenbar über ein Geflecht an Scheinfirmen mit Sitz in Zypern, Panama, Moldawien, den Britischen Jungferninseln immer weiterüberwiesen, bis sich die Spuren verloren. Nach Recherchen des Journalistennetzwerks Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) flossen damals auch mehrere Millionen Dollar an eine Firma namens Delco Networks auf den Britischen Jungferninseln - an jene Firma also, die später offenbar mit Roldugins Briefkastenfirma Geschäfte machte.

Was den Fall Magnitskij mit dem Roldugin-Netzwerk verbindet

Magnitskij, der die Masche mit der Steuerrückerstattung aufgedeckt hatte, wurde indes wenige Tage, nachdem er Anzeige erstattet hatte, festgenommen. Beteiligt daran waren ausgerechnet jene Beamte, die der Anwalt zuvor des Steuerbetrugs beschuldigt hatte. Die Behörden warfen Magnitskij vor, selbst hinter dem mutmaßlichen Steuerbetrug zu stecken. Er starb unter bis heute nicht restlos geklärten Umständen, bevor es zu einer Gerichtsverhandlung kam. Hermitage-Capital-Gründer Bill Browder kämpft seither verzweifelt darum, Magnitskij zu rehabilitieren. Der Amerikaner hat in den vergangenen Jahren weltweit Ermittlungen angestoßen, im Internet dokumentierte er den sagenhaften Reichtum einiger Moskauer Ermittler und Steuerbeamter.

So ist es auch Browders Hartnäckigkeit geschuldet, dass US-Präsident Barack Obama im Jahr 2012 das sogenannte Magnitskij-Gesetz unterzeichnete. Es friert amerikanische Konten von Russen ein, die nach Einschätzung des US-Senats in Magnitskijs Tod verwickelt waren, außerdem verbietet es ihnen die Einreise nach Amerika. Die Reaktion Russlands kam prompt: Anfang 2013 trat ein Gesetz in Kraft, das es Amerikanern verbietet, russische Kinder zu adoptieren. Sergej Magnitskij indes wurde im Juli 2013 von einem russischen Gericht posthum der Steuerhinterziehung schuldig gesprochen, Browder wurde in Abwesenheit ebenfalls verurteilt.

Nach Recherchen des Journalistennetzwerks Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) und der SZ zeigen die Panama Papers nun eine überraschende Verbindung vom Fall Magnitskij zum Roldugin-Netzwerk auf - also von jenem Firmengeflecht, über das der russische Staat offenbar um Hunderte Millionen erleichtert wurde, zum Geflecht von Briefkastenfirmen um den Putin-Freund Sergej Roldugin.

Der Cellist Sergej Roldugin ist der Taufpate der älteren Tochter des Präsidenten und hat Putin mit dessen späteren Ehefrau bekannt gemacht. Ausweislich der Panama Papers schloss eine der Firmen aus seinem Netzwerk, die International Media Overseas, im Frühjahr 2008 einen Vertrag mit der Briefkastenfirma Delco Networks - eine Firma aus jenem Geflecht, über das ergaunertes russisches Steuergeld aus dem Magnitskij-Fall abgeflossen sein soll.

Der Vertrag findet sich in den Panama Papers

Nach Recherchen des OCCRP sollen am Ende mehrere Millionen Dollar aus dem mutmaßlichen Steuerbetrug, dem Magnitskij nachgegangen war, bei der Delco gelandet sein. Was aber passierte dann mit dem Geld? Wer bekam es? Das ist bis heute nicht geklärt.

In den Panama Papers findet sich nun der Vertrag, den die Delco Networks und Roldugins International Media Overseas 2008 schlossen. Demnach vereinbarte Roldugins Firma, 70 000 Aktien der russischen Ölfirma Rosneft an Delco Networks zu verkaufen - um im Gegenzug insgesamt 807 800 Dollar zu bekommen. Das Geld sollte von der litauischen Ukio Bankas auf ein Konto von Roldugins Firma in der Schweiz eingezahlt werden.

Roldugin selbst antwortete bis Dienstagnachmittag nicht auf Anfragen von SZ und OCCRP zu seinen mutmaßlichen Geschäften mit der Firma Delco Networks. Nach den ersten Enthüllungen vor drei Wochen hatte Roldugin eingeräumt, dass er über Offshore-Firmen Anteile an russischen Unternehmen hält. Die Gewinne daraus würden fast ausschließlich zur Förderung von Nachwuchsmusikern im Sankt Petersburger Haus der Musik eingesetzt, außerdem zum Kauf von Cellos und anderen Musikinstrumenten, sagte er in einem Interview mit dem russischen Staatsfernsehen.

Und was sagte Putin damals über die Enthüllungen? Die Berichte seien eine "Provokation" und sollten Russland destabilisieren, so der russische Präsident. Aber ansonsten seien die zugrunde liegenden Informationen aus den Panama Papers "wahrheitsgetreu".

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