Süddeutsche Zeitung

Russland:Das Recht der Prominenten

Mit einem Gremium bekannter Autoren will Wladimir Putin Sympathien für eine neue Verfassung schaffen, die vor allem einem dienen wird: ihm selbst.

Von Silke Bigalke, Moskau

Der große Tischkreis in der Residenz des Präsidenten war auch Symbol dafür, dass sie von nun an gemeinsam hinter derselben Sache stehen sollten. 75 Männer und Frauen hatte Wladimir Putin an diesem Tisch Platz nehmen lassen. Ihr Auftrag: die russische Verfassung in den kommenden Wochen nach seinem Willen umzuformulieren. Der Kremlchef hat sie mit Bedacht ausgewählt: Viele Mitglieder der Arbeitsgruppe sind bekannt und beliebt in Russland, wie der Pianist Denis Mazujew oder Walentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltall. Die Olympiasiegerin im Stabhochsprung Jelena Issinbajewa sitzt mit am Tisch, aber auch der nationalistische Schriftsteller Sachar Prilepin, der im Donbass an der Seite der Separatisten kämpfte. Die wenigsten der Teilnehmer sind Juristen, doch nicht nur deswegen erscheint fraglich, wie viel Einfluss die Arbeitsgruppe auf die Formulierungen in der Verfassung haben wird. Ihre Hauptaufgabe wird eher sein, öffentliche Zustimmung für Putins Vorschläge einzusammeln.

Einen "Zirkus" nennt die Juraprofessorin Jelena Lukjanowa die Arbeitsgruppe

Einen "Zirkus", nennt Juraprofessorin Jelena Lukjanowa daher die Arbeitsgruppe. Im Interview mit dem Sender Doschd vergleicht sie Putins Reformplan mit einem "Putsch gegen die Verfassung". Sie kritisiert, dass in der Gruppe kein Einziger derer vertreten ist, die in den Neunzigerjahren an der aktuellen Verfassung mitgearbeitet haben. Der Präsident blieb zwar vage in den Details, dennoch lässt sich daran eine Strategie erkennen, wie Putin seine Macht über das Ende der Amtszeit 2024 hinaus sichern könnte. Seine Vorschläge zielen darauf ab, Befugnisse umzuverteilen und internationales Recht in Russland zu schwächen.

Unter den 75 Auserwählten, die ihm dabei nun helfen sollen, sind nicht nur Prominente, sondern auch Abgeordnete, Universitätsprofessoren, Leiter von Wohltätigkeitsverbänden, Kulturschaffende. Die Direktorin der renommierten Tretjakow-Galerie, Selfira Tregulowa, ist berufen worden, genauso wie der Kosaken-Ataman Nikolai Doluda und Alexander Schochin, Vorsitzender des Unternehmerverbandes. Die Arbeitsgruppe soll offenbar demonstrieren, dass sie alle Facetten der russischen Gesellschaft abbildet. Gleichzeitig sind viele der Mitglieder vom Geld und vom Wohlwollen des Kreml abhängig.

Dabei soll nun alles recht schnell gehen. Schon am Freitag traf sich die Arbeitsgruppe zu einer ersten Sitzung. Das Parlament werde den Verfassungsänderungen noch im Frühjahr zustimmen, sagte Walentina Matwijenko, Vorsitzende des Föderationsrates und damit der oberen Parlamentskammer, laut der Agentur Interfax. Putin möchte auch die Bevölkerung über die Änderungen abstimmen lassen. Es wird bereits spekuliert, ob er es deswegen so eilig hat, weil Putin die Parlamentswahlen vorziehen möchte, die 2021 anstehen.

Nach Putins Rede waren am Mittwoch Premierminister Dmitrij Medwedjew und dessen Regierung zurückgetreten. Am Samstag gab Medwedjew ein TV-Interview, spielte das Geschehen herunter. Generell sollte dem Rücktritt einer Regierung "absolut gelassen" begegnet werden, sagte er. Es sei daran nichts Besonderes, auch wenn das in Russland nicht so oft passiere.

Tatsächlich haben Opposition und Öffentlichkeit seinen Rücktritt recht gelassen hingenommen. Auch gegen die geplante Verfassungsreform gab es bislang kaum Proteste. Die Moskauer Oppositionspolitikerin Julia Galjamina rief am Wochenende dazu auf, gegen die Änderungen auf die Straße zu gehen, nannte sie eine "Diskriminierung gegen das ganze Land". Am Sonntag war ein Gedenkmarsch für die Journalistin Anastassija Baburowa und den Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow geplant, die vor elf Jahren in Moskau erschossen worden waren. Julia Galjamina nutzte dies für den Protest gegen den Kreml. Sie und andere Teilnehmer riefen "Russland ohne Putin" und "Keine Diktatur".

Kremlkritiker Alexej Nawalny sprach sich gegen Proteste aus. Er macht die heutige Verfassung für das repressive politische System mitverantwortlich. "Es ist nicht nötig, sie zu verteidigen", sagte er. Die Stadt Moskau genehmigte eine Kundgebung gegen die Verfassungsänderung Anfang Februar. Wer den Antrag stellte, wurde zunächst nicht bekannt.

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SZ vom 20.01.2020
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