Süddeutsche Zeitung

Russland:Chodorkowskij vor Gericht

Sein Anwalt vermutet, dass er "unendlich lange" im Gefängnis gehalten werden soll: Ex-Yukos-Chef Chodorkowskij muss erneut vor Gericht - wegen angeblicher sexueller Belästigung eines Mithäftlings.

Frank Nienhuysen

Michail Chodorkowskij, der inhaftierte ehemalige Chef des russischen Ölkonzerns Yukos, ist am Dienstag von seinem Gefängnis im sibirischen Tschita nach Moskau gebracht worden. Dort muss er sich von diesem Mittwoch an wegen sexueller Belästigung vor dem Meschtschanskij-Gericht verantworten. Sein ehemaliger Zellengenosse Alexander Kutschma fordert von Chodorkowskij 500.000 Rubel (knapp 11.000 Euro) als "moralischen Ausgleich" für angebliche homosexuelle Belästigungen.

In der nächsten Woche beginnt gegen den einst reichsten Unternehmer Russlands und Regierungskritiker ein zweiter, ungleich größerer Prozess in Moskau. Chodorkowskij und dessen früherer Mitarbeiter Platon Lebedjew werden darin beschuldigt, von 1998 bis 2003 Einnahmen von umgerechnet etwa 19 Milliarden Euro unterschlagen zu haben.

Chodorkowskij war im Oktober 2003 verhaftet und bereits im Mai 2005 in einem ersten Verfahren zu acht Jahren Haft wegen Betrugs und Steuerhinterziehung verurteilt worden. Nachdem er die Hälfte der Zeit verbüßt hatte, hätte er im Prinzip bereits im Herbst 2007 vorzeitig freigelassen werden können. Seine Anträge wurden jedoch abgelehnt. Der Ölkonzern Yukos ist inzwischen zerschlagen und größtenteils von dem staatlichen Unternehmen Rosneft übernommen worden.

Juri Schmidt, einer der Anwälte Chodorkowskijs, bezeichnete Kutschma als eine "vorgeschobene Figur" der Strafvollzugsbehörden in Tschita. Ein früherer Mithäftling sagte in einem Interview des Magazins Kommersant-Wlast, der Vorwurf der sexuellen Belästigung sei "Unsinn".

Offensichtlich sei Kutschma zu der Anschuldigung gezwungen worden, um eine vorzeitige Haftentlassung des ehemaligen Yukos-Chefs zu verhindern. Bereits in der Vergangenheit gab es immer wieder Beschuldigungen gegen Chodorkowskij, unter anderem etwa angebliche Verstöße beim Hofgang oder der unerlaubte Besitz zweier Zitronen. Einige der Vorwürfe ließen sich am Ende nicht aufrechterhalten.

Anwalt Schmidt vermutet, dass Chodorkowskij "unendlich lange" im Gefängnis gehalten werden soll. Im Falle einer Verurteilung wegen Unterschlagung drohen ihm 22,5 Jahre Haft. Der neue Prozess gilt für viele Beobachter auch als Test, wie belastbar die Erklärungen von Präsident Dmitrij Medwedjew sind. Der Kremlchef hatte mehrmals den "Rechtsnihilismus" in Russland beklagt und Transparenz in der Justiz gefordert.

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SZ vom 25.02.2009/gba
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