China:China und das Ukraine-Dilemma

Olympia 2022: Chinas Präsident Xi Jinping mit Russlands Präsident Wladimir Putin

Der russische Präsident Wladimir Putin (links) ist zur Eröffnungsfeier der Winterspiele angereist, hier mit Chinas Präsident Xi Jinping.

(Foto: Alexei Druzhinin/AP)

Erst der Schulterschluss mit Putin vor den Olympischen Spielen, dann die Flucht zurück in demonstrative Zurückhaltung: Für Peking ist die Eskalation in Osteuropa nicht nur wegen der Taiwan-Frage heikel.

Von Christoph Giesen, Peking

Es sollte ein Fest des Friedens werden, der Wettstreit von Sportlerinnen und Sportlern aus aller Welt, so hatte es die chinesische Propaganda vor den Winterspielen angekündigt und jeden Boykottaufruf mit dem Argument erstickt, dass Olympia nicht für politische Zwecke missbraucht werde dürfe. Was aber geschah am 4. Februar, ausgerechnet wenige Stunden vor der Eröffnungsfeier im Pekinger Nationalstadion?

Der chinesische Apparat verschickte ein 15-seitiges Kommuniqué, wonach Russland und China eine weitere Expansion der Nato in Osteuropa ablehnen. In einer gemeinsamen Erklärung riefen der russische Präsident Wladimir Putin und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping das westliche Militärbündnis zur Abkehr von den "Konzepten aus der Zeit des Kalten Krieges" auf. Also doch: Große Politik so kurz vor den doch angeblich völlig unpolitischen Spielen.

Peking und Moskau vereint gegen den Westen, das hatte es in dieser Deutlichkeit das letzte Mal irgendwann Anfang der Fünfzigerjahre gegeben, als der Kalte Krieg begann und der Machthaber im Kreml noch Stalin hieß. Wenig später begann die Führung in Peking, auf die Politik der Nichteinmischung zu setzen. Ersonnen wurde sie vom ehemaligen Ministerpräsidenten Zhou Enlai. Er formulierte das Prinzip 1953 zum ersten Mal in der Präambel eines Vertrags zwischen China und Indien, in dem die Tibetfrage geregelt ist. 1955 wertete Zhou die Nichteinmischung auf der Konferenz von Bandung zum außenpolitischen Grundsatz auf. Bis heute hat die Doktrin ihre Gültigkeit behalten. Warum positionierte Xi Jinping sich Anfang Februar dennoch so deutlich?

Dann klang die Position Pekings auf einmal wieder entspannter

Von China aus betrachtet, ist Osteuropa weit entfernt. Gelang es Putin, Xi diese Aussagen abzuringen, weil man in China sichergehen wollte, dass es während der Spiele auf keinen Fall zu kriegerischen Handlungen in der Ukraine kommt? Schon 2008, während der Sommerspiele, daran erinnert man sich in Peking genau, lieferten sich Russland und Georgien Scharmützel, wiederholen sollte sich das nicht.

Kaum war Putin aus Peking abgeflogen, ging der Ständige Ausschuss des Politbüros in Klausur. Obwohl die Olympischen Spiele in der Stadt abgehalten wurden, sah man die sieben mächtigsten Männer des Landes gleich für mehrere Tage nicht. Während die Amerikaner und Europäer ihr Botschaftspersonal verlegten und dringende Reisewarnungen aussprachen, taten die chinesischen Behörden nichts. Alles wartete auf ein Signal aus dem Zhongnanhai, jenem Park- und Gebäudekomplex neben der Verbotenen Stadt, in dem die Kommunistische Partei ihr Hauptquartier hat.

Erst am 16. Februar konnte man eine neue Position Pekings nachlesen, sie klang deutlich entspannter, wieder mehr nach Zhou Enlai: In einem Telefongespräch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron rief Xi zu einem Dialog auf, etwa den Normandie-Gesprächen, bei denen seit 2014 Russland, die Ukraine, Deutschland und Frankreich verhandeln.

Aus ökonomischen Gründen ist ein russischer Einmarsch für China problematisch

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz legte Chinas Außenminister Wang Yi nach: "Warum können sich nicht alle Seiten zusammensetzen und detailliert Gespräche führen und einen Zeitplan erarbeiten, wie dieses Abkommen umgesetzt werden kann", fragte er und meinte das Minsker Abkommen, jenen unter deutsch-französischer Vermittlung 2015 vereinbarten Friedensplan für den Konflikt in der Ostukraine. Das Abkommen sah vor, dass die beiden prorussischen Separatistengebiete autonome Teile der Ukraine sind. Bis Putin den Pakt aufkündigte und entschied, die Volksrepubliken Donezk und Luhansk anzuerkennen.

Für Peking ist das ausgesprochen heikel, Sprengstoff in der Taiwan-Frage: Zwei von Separatisten kontrollierte Regionen auf dem Territorium eines souveränen Staates, mit dem China Beziehungen unterhält. Aus chinesischer Sicht handelt es sich bei Taiwan um eine abtrünnige Provinz, wehe dem, der sich Taipeh nähert, wie jüngst Litauen erfahren musste. Da ging es nicht einmal um diplomatische Beziehungen, sondern lediglich um die Frage, ob auf dem Messingschild eines Verbindungsbüros in Vilnius "Taipeh" oder "Taiwan" stehen darf.

Für Peking ist ein russischer Einmarsch auch aus ökonomischen Gründen problematisch: Die chinesische Wirtschaft braucht den Zugang zum amerikanischen Finanzsystem und ist auf Technologieimporte aus Europa und den USA angewiesen. Ein Unterlaufen der Sanktionen könnte der chinesischen Wirtschaft schwer schaden. Zudem ist die Ukraine Teil der neuen Seidenstraße, jenem umfangreichen Kredit- und Bauprogramm, das China in den Mittelpunkt des Handels zwischen Südostasien und Europa stellen soll. Viele chinesische Firmen haben Milliarden investiert.

Ebenfalls ein Desaster für Peking ist Putins Argument, dass in der Ostukraine ein Genozid stattfände und daher eine Friedensmission gerechtfertigt sei. Während ein Völkermord in der Ukraine eine infame Lüge ist, erheben inzwischen immer mehr Regierungen auf der Welt den Vorwurf, dass die chinesische Führung im Westen Chinas tatsächlich einen Genozid an der uigurischen Minderheit verübt. Hunderttausende Uiguren werden in der Region Xinjiang in Umerziehungslagern weggesperrt und müssen Zwangsarbeit verrichten.

Fast verzweifelt klingen da inzwischen die chinesischen Appelle: "China fordert erneut alle Parteien auf, Zurückhaltung walten zu lassen", sagte Außenminister Wang Yi am Dienstag in einem Telefonat mit seinem US-Amtskollegen Antony Blinken. Und auch die chinesische Botschaft in der Ukraine ist nun in Alarmbereitschaft versetzt worden: Es sei zu "großen Veränderungen der Lage in der Ostukraine" gekommen. Von Reisen in die instabilen Regionen solle daher abgesehen werden, hieß es. Auch wurden Chinesen in der Ukraine dazu aufgerufen, sich mit Lebensmitteln und Wasser einzudecken. Es sieht nach Krieg aus, und in Peking wird man sich nun allmählich bewusst, was das bedeutet.

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