Süddeutsche Zeitung

Neue Seidenstraße:Russland ist auf China angewiesen

  • Russische Beobachter sehen die chinesische Neue Seidenstraße als Chance, die Gewichte auf der Welt zu verlagern und den Westen schwächen.
  • Die russische Wirtschaft kann mit China aber kaum mithalten.
  • Gemeinsame Großprojekte beider Länder bleiben hinter den Erwartungen zurück.

Von Silke Bigalke, Moskau

Ausgerechnet Astana hatte sich Xi Jinping ausgesucht. In der kasachischen Hauptstadt, die heute Nursultan heißt, stellte er vor fünfeinhalb Jahren seine Seidenstraßeninitiative vor und wählte damit die größte und reichste unter den früheren Sowjetrepubliken in Zentralasien aus. Ein Land, das Russland noch heute als Teil seiner Einflusssphäre betrachtet.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte eigene Pläne für Kasachstan und Kirgisistan. Gemeinsam mit Weißrussland und Armenien traten die Länder einer Eurasischen Wirtschaftsunion bei, die sich zu einem gemeinsamen Markt nach EU-Vorbild und unter Moskauer Leitung entwickeln sollte. Doch schon damals dürfte Putin erkannt haben, dass er als Wirtschaftsmacht mit China kaum mithalten konnte.

Das Jahr 2014 vergrößerte dieses Ungleichgewicht. Sanktionen und der Ölpreissturz schwächten nicht nur Russlands Wirtschaft weiter. Sie verbreiterten den Graben zum Westen und änderten die Haltung des Kremls zum Seidenstraßenprojekt - Putin versuchte, auf den Zug aufzuspringen: Im Mai 2015 erklärten er und Chinas Staatspräsident Xi Jinping, dass beide die Initiative Neue Seidenstraße mit der russisch geführten Eurasischen Wirtschaftsunion verknüpfen wollten. Bis heute nennt Putin die beiden Projekte gerne in einem Atemzug, für China spielt das russische aber kaum eine spürbare Rolle.

Dennoch sehen russische Beobachter die chinesische Initiative seither weniger als geopolitische Bedrohung und mehr als Chance: Gemeinsam könnten sie Gewichte auf der Welt verlagern und den Westen schwächen. Tatsächlich baute China seinen Einfluss weitgehend im Alleingang aus, vor allem in den zentralasiatischen Staaten, durch die es chinesische Waren nach Europa transportiert. Kasachstan nennt sich nicht umsonst stolz die "Schnalle" in Chinas Plänen von "Gürtel und Straße". Solange die chinesische Wirtschaftsleistung achtmal größer ist als die russische, kann Moskau wenig dagegen tun. Vielleicht will es das auch gar nicht: China ist Russlands wichtigster Handelspartner.

Wenn man in Moskau frustriert ist, dann weil chinesische Investitionen in Russland weniger üppig ausfallen. Der russische Botschafter in Peking, Andrej Denisow, hat es mal so formuliert: Für China liefe mit solchen Ländern alles glatt, die seine Projekte komplett mit chinesischen Materialien, Technologien und Arbeitern übernehmen. "Wir brauchen das nicht, wir haben unsere eigenen Technologien. Wir tun nichts zu unserem Nachteil."

Gemeinsame Großprojekte blieben bisher hinter den Erwartungen zurück. Die Pipeline Sila Sibiri, "Kraft Sibiriens", soll russisches Gas nach China bringen, doch der Bau verzögert sich. Eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke für Züge zwischen Moskau und Kasan sollte möglicherweise bis China verlängert werden. Erst vergangene Woche nickte Putin die Schnellstrecke nach Sankt Petersburg ab, die Richtung Osten nach Kasan aber nicht. Die größte Erfolgsgeschichte ist bisher die Flüssiggasanlage auf der arktischen Halbinsel Jamal, in die der staatseigene chinesische Seidenstraßen-Fonds investiert. China würde die Arktisküste vor Russland gerne als weitere Route erschließen. Der Kreml lässt sich auch das bisher gefallen: Er weiß, dass ihm die Mittel fehlen, um die Infrastruktur im arktischen Territorium alleine auszubauen.

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SZ vom 26.04.2019/saul
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