Krieg in Europa:Das ist zu den Vorfällen in Brjansk bekannt

Krieg in Europa: Spezialtruppen der Polizei sichern einen Checkpoint in der Region Brjansk.

Spezialtruppen der Polizei sichern einen Checkpoint in der Region Brjansk.

(Foto: IMAGO/Sergei Bobylev/IMAGO/ITAR-TASS)

Auf russischem Staatsgebiet werden offenbar zwei Menschen bei Angriffen getötet. Der Kreml spricht von ukrainischem Terror. Was steckt dahinter?

Von Leopold Zaak

An der russisch-ukrainischen Grenze herrscht Aufregung: Russlands Präsident Putin spricht von einem "Terroranschlag" in der Region Brjansk, nahe der ukrainischen und belarussischen Grenze, und will am Freitag seinen Sicherheitsrat einberufen. Der russische Geheimdienst FSB berichtet von zwei getöteten Zivilisten und einem verletzten Kind. Die staatlichen Nachrichtenagenturen Tass und Ria Nowosti melden, in einem Grenzdorf hätten ukrainische Saboteure angegriffen, Kiew weist aber jede Verantwortung vor sich. Und dann kursiert noch ein Bekennervideo, das den Verdacht in Richtung russischer Nationalisten lenkt. Die Lage in der Oblast Brjansk ist unübersichtlich, die Beteiligten wirken nervös. Eine Übersicht darüber, was bekannt ist.

Was ist in der Region Brjansk passiert?

Das ist noch immer nicht klar. Offenbar gab es bei kämpferischen Auseinandersetzungen im Dorf Ljubetschanje Tote, der russische Geheimdienst FSB geht russischen Nachrichtenagenturen zufolge von zwei getöteten Zivilisten aus, ein Kind soll verletzt worden sein. Das berichten auch die lokalen Behörden.

Auch im etwa 20 Kilometer südlich gelegenen Dorf Suschany soll es Aktionen gegeben haben. Berichte über eine Geiselnahme wurden von den örtlichen Behörden jedoch dementiert. Am Donnerstagabend sollen dann vier Soldaten der russischen Nationalgarde in Suschany verletzt worden sein, weil ihr Fahrzeug auf eine Landmine gefahren war. Das berichten die Nachrichtenagentur Tass sowie unabhängige russische Medien. Ob und wie die Explosion der Mine mit dem Angriff in Zusammenhang steht, ist noch unklar.

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(Foto: SZ-Grafik)

Demnach sollen "ukrainische Saboteure" das Feuer eröffnet und unter anderem auf ein Auto geschossen haben. Zwischenzeitlich wurde auch über einen Angriff auf einen Schulbus berichtet, lokale Behörden in Brjansk wiesen das jedoch als Falschmeldung zurück. Zuvor war auch von ukrainischen Drohnen- und Artillerieangriffen berichtet worden, die nicht bestätigt werden können.

Russische Nachrichtenagenturen berichteten, russische Truppen hätten die Sabotagegruppe bekämpft. Am Nachmittag meldete dann der Geheimdienst: Die Lage sei unter Kontrolle, man sei nun dabei, gefundenen Sprengstoff zu sichern und zu entschärfen.

Wer ist dafür verantwortlich?

Gleichzeitig mit den ersten Berichten tauchten in den sozialen Netzen und auf russischen Propagandakanälen Fotos und Videos auf. Auf ihnen sind Männer in Militärkleidung zu sehen, die eine Fahne in der Hand halten und Russisch sprechen.

Bei den Aufnahmen handelt es sich offenbar um Bekennervideos. Die Fahne, die die Männer in der Hand halten, zeigt wohl das Banner des "Russischen Freiwilligenkorps" (RDK), einer militärischen Einheit von russischen Emigranten, die in der Ukraine leben. Das RDK wurde im August vergangenen Jahres während des Kriegs gegründet und setzt sich aus ehemaligen freiwilligen russischen Kämpfern des ukrainischen Asow-Regiments zusammen, das bis Mai 2022 Mariupol gegen die russischen Angreifer verteidigte.

Beim RDK handelt es sich um einen Zusammenschluss rechtsradikaler Kämpfer, die Putins Regime und den Krieg gegen die Ukraine ablehnen und die freiwillig auf Seiten Kiews kämpfen. In dem Video bekennen sich die Männer zu den Angriffen in Brjansk und rufen die russische Bevölkerung zur Rebellion auf. Welche Ziele das RDK genau verfolgt, geht aus dem Video nicht hervor. Ob die Aufnahmen oder das Bekenntnis authentisch sind, ist ebenfalls nicht klar.

Auf dem Video ist jedoch ein Mann zu sehen, der mit der RDK in Verbindung steht: Denis Kapustin, ein russischer Rechtsextremist, der auch unter dem Namen Denis Nikitin auftritt und aus der Neonazi- und Hooligan-Szene bekannt ist. Auch in Deutschland ist Kapustin gut vernetzt, wo er einige Zeit lang lebte. Kapustin gab im vergangenen August an, für das RDK auf Seiten der Ukraine gegen Russland zu kämpfen.

Wie reagiert Moskau?

Einerseits versucht der Kreml, in der Sache entschieden aufzutreten. Regierungssprecher Dmitrij Peskow sprach früh von "ukrainischen Terroristen", die für die Angriffe verantwortlich seien. Putin sagte nach den Ereignissen eine für den Donnerstag geplante Reise in den Kaukasus ab und äußerte sich schließlich selbst. In einer Videoschalte sprach er von einem Terroranschlag. Zudem kündigte der Kreml an, für diesen Freitag den Sicherheitsrat zusammenzurufen.

Krieg in Europa: In einer Videoschalte zum russischen "Tag des Lehrers" spricht Putin von einem Terroranschlag auf russischem Staatsgebiet.

In einer Videoschalte zum russischen "Tag des Lehrers" spricht Putin von einem Terroranschlag auf russischem Staatsgebiet.

(Foto: SPUTNIK/via REUTERS)

Auf der anderen Seite spürt man aber auch aus Moskau eine gewisse Vorsicht und Unsicherheit - allen deutlichen Formulierungen zum Trotz. Putin sprach von "ihnen", die Russland erneut angegriffen hätten, ohne jedoch konkret zu machen, von wem er spricht. Und auch sein Sprecher Peskow ließ durchscheinen, dass auch er keine genauen Aussagen treffen will. "Alle Details werden natürlich überprüft, untersucht. Es ist notwendig, mit Sicherheit festzustellen, wer es ist. Unsere Sicherheitsbehörden werden sich um all das kümmern. Die Informationen werden von ihnen kommen", sagte er.

Als Peskow gefragt wird, ob ein Eindringen ukrainischer Saboteure auf russisches Staatsgebiet die offizielle Kreml-Linie ändern würde, wonach der Krieg gegen die Ukraine als "Spezialoperation" bezeichnet werden muss, verwies er auf die Sitzung des Sicherheitsrates und sagte: "Ich weiß es nicht, ich kann es noch nicht sagen."

Wie reagiert Kiew?

Auch aus Kiew kam sofort eine Reaktion: Die Regierung wies jede Verantwortung von sich. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak sagte, Russland wolle damit seinen Angriff auf die Ukraine rechtfertigen. Er deutete an, dass russische Partisanen hinter den Angriffen stecken könnten.

Auch Andrij Tschernjak, Vertreter des ukrainischen Militärgeheimdienstes, stritt eine Beteiligung der Ukraine ab und verwies auf das Bekennervideo des RDK.

Was bedeutet das für den Kriegsverlauf?

Das ist derzeit noch völlig offen. Seit einigen Wochen gibt es immer wieder Gerüchte zu möglichen "Provokationen" der ukrainischen Streitkräfte auf russischem oder auch belarussischem Gebiet. Westliche Geheimdienste oder auch Analysten vom Institute for the Study of War erwarten seit Monaten, dass es im Grenzgebiet zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt, die von Russland fingiert sind.

Eine solche False-Flag-Aktion könnte Russland die Rechtfertigung geben, den Krieg gegen die Ukraine auszuweiten - oder bei einem Zwischenfall an der Grenze zu Belarus das mit Russland verbündete Nachbarland dazu bewegen, in den Krieg einzutreten. Machthaber Alexander Lukaschenko hat mehrmals betont, nur dann Truppen in die Ukraine zu schicken, sollte sein Land tatsächlich angegriffen werden. Die Oblast Brjansk grenzt an Belarus.

Sollte sich jedoch bewahrheiten, dass hinter den Angriffen das RDK steckt, wäre diese These wohl hinfällig. Russische Partisanen, die für die Ukraine kämpfen und auf russisches Staatsgebiet vordringen, taugen wohl nicht als Grund für einen Kriegseintritt von Belarus.

Ob die Vorfälle bei Brjansk tatsächlich eine Verschärfung des Krieges bedeuten könnten, hängt vor allem davon ab, was in der Sitzung des Sicherheitsrates an diesem Freitag entschieden wird.

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