Parlamentswahlen:Warum bei dieser Russland-Wahl alles anders ist

Russian President Vladimir Putin poses for a photo during the celebrations for the City Day at Red Square in Moscow

Selfie mit dem Präsidenten: Fototermin mit Wladimir Putin auf dem Roten Platz.

(Foto: Sputnik/Kreml/Mikhail Klimentyev/REUTERS)

Die Mächtigen baden im Luxus, Oppositionelle werden unterdrückt - und das Volk schweigt. Bei den Duma-Wahlen 2011 ging es lauter zu.

Von Julian Hans, Moskau

Vier Tage vor der Wahl hatte Alexej Nawalny dann doch noch einen großen Auftritt, wenn auch nur im Internet. In einem am Donnerstag veröffentlichten Video präsentiert der Oppositionelle das herrschaftliche Anwesen, das dem russischen Premier Dmitrij Medwedjew als Landsitz dient: Es ist ein aufwendig renoviertes Schloss aus dem 18. Jahrhundert nebst Gesindehäusern, Hotel, Garagen für Fahrzeuge und einem Badehaus in den Ausmaßen eines öffentlichen Hallenbads.

Das Grundstück an der Wolga ist über drei Hubschrauberlandeplätze zu erreichen, am Steg sind zwei Luftkissenboote festgemacht. Ein bisschen extravagant wirkt der Skilift für den wenige Hundert Meter langen Hang zum Ufer. Ein sechs Meter hoher Metallzaun soll das 80 Hektar große Gelände vor neugierigen Blicken schützen. Aber die Aktivisten von Nawalnys Stiftung zur Bekämpfung der Korruption sind routiniert im Umgang mit Drohnen und haben schon diverse Villen russischer Politiker aus der Luft gefilmt.

Die Parlamentswahl wird das Video nicht entscheiden

Mit seinem offiziellen Gehalt lässt sich so ein Luxus unmöglich bezahlen, aber Medwedjew lässt über eine Sprecherin ohnehin ausrichten, er sei dort lediglich zu Besuch gewesen. Umgerechnet 400 Millionen Euro dürfte der Komplex gekostet haben, schätzt Nawalny und erinnert an den inzwischen zum geflügelten Wort gewordenen Satz, den Medwedjew im Sommer zu einer Gruppe älterer Frauen sagte, die über die ausbleibende Rentenerhöhung klagten: "Das Geld ist alle, halten Sie durch und bleiben Sie bei Laune!" Nawalnys Botschaft lautet dagegen: "Wenn Sie an diesem Sonntag zur Wahl gehen, stimmen Sie gegen Einiges Russland!"

Auch wenn das Video innerhalb von 24 Stunden mehr als eine Million Mal angesehen wurde - die Parlamentswahl wird es nicht entscheiden. Die Menschen in Russland sind müde von den vielen schlechten Nachrichten und blicken fatalistisch in die Welt. Nur zwölf Prozent glauben, dass sie Einfluss auf die Entscheidungen im Land nehmen können, ergab eine Umfrage des Lewada-Zentrums im August. Die Wahlen sind den meisten egal, 43 Prozent sagen, sie verfolgten den Wahlkampf nicht.

Bei den letzten Duma-Wahlen im Dezember 2011 hatte sich ein ganz anderes Bild geboten. In den großen Städten gingen die Menschen auf die Straßen, um gegen Wahlfälschungen zu demonstrieren. Alexej Nawalny und andere Oppositionelle sprachen in Moskau vor Zehntausenden Demonstranten. Nawalny darf bei dieser Wahl nicht kandidieren, er ist vorbestraft in einem Prozess, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als politisch motiviert eingestuft hat. Seiner Partei wurde die Registrierung verweigert.

Die Kameras, die vor der Präsidentschaftswahl 2012 in den Wahlbüros montiert wurden, um Transparenz zu demonstrieren, sind verschwunden, eingespart. Die Menschen haben es mit einem Schulterzucken hingenommen. Gerade einmal zehn Prozent würden sich heute einem Protest anschließen, hat das Lewada-Zentrum ermittelt. Seit der Krim-Annexion sind patriotische Gefühle im Trend, die Protestbereitschaft ist auf niedrigstem Stand.

Die Prozesse gegen Kreml-Gegner entfalten auch ihre Wirkung

Eine lange Reihe von Ereignissen und Maßnahmen haben dazu beigetragen, dass sich der Wind gedreht hat in Russland. Zugeständnisse wurden gemacht, die den Menschen weniger Anlässe zur Empörung geben sollen. Repressionen sollen ihnen Angst machen.

2011 waren nur sieben Parteien zugelassen, in diesem Jahr sind es doppelt so viele, darunter auch die Partei Parnas des 2015 erschossenen Politikers Boris Nemzow. Statt die Wahlen infrage zu stellen, rufen ihre Anhänger jetzt dazu auf teilzunehmen. Alle Umfragen sehen indes sowohl Parnas als auch die zweite demokratische Partei, Jabloko, deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde.

Demnach kämen nur vier Parteien ins nächste Parlament: die von Dmitrij Medwedjew angeführte Kreml-Partei Einiges Russland, die rechtspopulistische LDPR von Wladimir Schirinowski, die Kommunisten und Gerechtes Russland. Sie alle haben, wenn es darauf ankam, stets treu im Sinne des Kreml gestimmt.

61 Wahlen

...finden am Sonntag in Russland gleichzeitig statt, auf fünf unterschiedlichen Ebenen. Landesweit wird das Parlament, die Staatsduma, neu besetzt. In neun russischen Republiken, Regionen und Gebieten werden die Gouverneure und Republikchefs gewählt, in 39 Föderationssubjekten die Parlamente. Kemerowo wählt einen neuen Bürgermeister, elf Gemeinden bestimmen neue Kommunalparlamente. Julian Hans

Eine reale Chance, zumindest einzelne Kandidaten ins Parlament zu bekommen, die nicht auf Linie sind, gibt es nur über Direktmandate. Zwar konnten sich Jabloko und Parnas nicht darauf einigen, ihre Kräfte zu bündeln, aber in den meisten Wahlkreisen haben sie sich immerhin darauf geeinigt, dass nur eine von beiden Gruppen einen Direktkandidaten aufstellt.

Das Recht der Wahlbeobachter wurde eingeschränkt

Im März entließ Wladimir Putin den im Volk verhassten Wladimir Tschurow von der Spitze der Zentralen Wahlkommission und machte Ella Pamfilowa zur Vorsitzenden. Sie hatte sich als Menschenrechtsbeauftragte des Präsidenten und Vorsitzende des Menschenrechtsrats über politische Lager hinweg Ansehen erworben.

Der stellvertretende Direktor des Lewada-Instituts, Alexej Graschdankin, sieht zwei Hauptgründe für die Resignation. Zum einen hätten die Bürger die Erfahrung gemacht, dass die Proteste 2011 und 2012 zu keinem Ergebnis geführt hätten. Die Bilder, die das russische Fernsehen von den gewalttätigen Auseinandersetzungen auf dem Kiewer Maidan übertrugen, schreckten sie zusätzlich ab.

Zum anderen hätten die Prozesse gegen Kreml-Gegner ihre Wirkung entfaltet. "Sie erinnern sich an die Urteile in den Bolotnaja-Prozessen", sagte Graschdankin der Zeitung Wedomosti. Mehr als dreißig Demonstranten, die am Vorabend von Putins Amtseinführung 2012 wegen Rangeleien mit der Polizei festgenommen wurden, wurden bei zweifelhafter Beweislage teils zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Ihre Verteidiger sind überzeugt, dass die Sicherheitsorgane die Zusammenstöße genau zu diesem Zweck provoziert haben.

Gleich zu Beginn der Legislaturperiode hatte die Duma das Versammlungsrecht massiv eingeschränkt. Veranstalter müssen hohe Hürden nehmen, um Demonstrationen anzumelden, bei geringsten Verstößen drohen ihnen harte Strafen. Auch das Recht der Wahlbeobachter wurde beschränkt. Frei bewegen können sich die 450 Beobachter der OSZE - allerdings auch nicht überall. Aus Sicherheitsgründen werden keine Beobachter in die Kaukasusrepubliken Tschetschenien und Dagestan geschickt. Dort hatte die Kreml-Partei in der Vergangenheit mehr als 90 Prozent der Stimmen geholt.

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