Süddeutsche Zeitung

Russland:Antalya oder Sansibar

Trotz 5000 Neuinfektionen, die jeden Tag registriert werden, öffnet Russland wieder für den internationalen Flugverkehr. Beliebtes Ferienziel ist die Türkei.

Von Frank Nienhuysen

Tansania, Sansibar - so poetisch, sanft und exotisch klingen der afrikanische Staat und seine halbautonome Inselgruppe im Indischen Ozean, dass viele Russen in den vergangenen Tagen neugierig geworden sind. Die russische Suchmaschine Yandex war zwar nicht gleich überlastet, aber die Zahl der täglichen Eingaben ist um das 65-Fache gestiegen, in der Unterrubrik Reisen gleich um mehr als das 200-Fache. Sogar die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, machte am Wochenende ein wenig Fremdenwerbung, als sie sagte, dies sei "ein sehr beliebter Ort", das habe die Rückhol-Aktion der Regierung zu Beginn der Pandemie gezeigt. Für das rasant gestiegene Interesse in Russland am fernen Tansania gibt es seit einigen Tagen einen trefflichen Grund: Von Russland aus kann man am Wochenende wieder dorthin fliegen, konkret: ausschließlich auf das Sansibar-Archipel. Und das ist nur die weiteste der Auslandsreisen, die vom 1. August an wieder möglich sind.

Ministerpräsident Michail Mischustin kündigte in der vergangenen Woche an, dass von Russland aus der internationale Flugverkehr neu starten werde, nach Tansania, Großbritannien und vor allem in die Türkei. Die russische Regierung sagte, dass sie mit weiteren 30 Staaten in Gesprächen über den Neustart des Flugverkehrs sei, doch das muss konkret für die laufende Urlaubssaison noch nichts heißen. Noch immer werden in Russland jeden Tag offiziell mehr als 5000 Neuinfektionen registriert. Die Europäische Union hat deshalb davon abgesehen, die Einreise aus Russland wieder uneingeschränkt zu erlauben, bei ständiger Prüfung der Corona-Lage. Dies gilt zunächst auch noch für die Türkei, deren Regierung sich darüber sehr unerfreut zeigte. Nun wollen sich die beiden Staaten untereinander helfen.

Wer von Russland aus ab Samstag nach London fliegt, muss zunächst für zwei Wochen in Quarantäne, doch das gilt weder für Reisen nach Tansania noch in die Türkei. Nicht einmal ein frisches negatives Testergebnis wird den Reisenden abverlangt. Zunächst dürfen Flugzeuge von Moskau, Sankt Petersburg und Rostow am Don Richtung Istanbul und Ankara starten, anderthalb Wochen später dürfen auch die Urlaubsziele Antalya, Bodrum und Dalaman angeflogen werden. Für beide Seiten ist dies ein immenser Erfolg. Russische Medien berichteten, dass sich der türkische Staatspräsident Recep Tayipp Erdoğan persönlich bei Kremlchef Wladimir Putin für die Wiederaufnahme des gegenseitigen Flugverkehrs eingesetzt habe.

Die Tourismusbranche hat in den Ländern wie praktisch überall durch das Virus extrem gelitten; doch während die EU-Staaten sich zuletzt wenigstens auf eine innereuropäische neue Reisefreiheit einigten, steht diese Chance Russland zunächst nicht offen. Das spürte nicht nur die russische Bevölkerung, sondern auch die umfangreiche Branche der Reiseagenturen. Um den getroffenen Tourismus in Krisenzeiten auch im eigenen Land zu stärken, will die Regierung vom nächsten Jahr an für Ausländer aus 53 Staaten vereinfachte elektronische Visa einführen.

Die Türkei gilt - anders als Tansania - für Russinnen und Russen zu den attraktivsten Reisezielen der vergangenen Jahre. Allein im vorigen Jahr machten sieben Millionen Russen Urlaub in der Türkei. Durch Corona mussten viele ihre Ferienpläne überdenken, Reisen stornieren und ausweichen auf heimische Regionen. Angesagt sind seitdem neben der eigenen Datscha insbesondere Ferien im Großraum Sotschi am Schwarzen Meer, die Ostseeregion Kaliningrad oder die annektierte Urlauberhalbinsel Krim.

Den Einbruch in der Reisebranche kann auch der Neustart der Flüge in die Türkei nicht ausgleichen, zumal die klassischen Küstengebiete erst vom 10. August an angeflogen werden. Für Familien mit Kindern ist die Frist ohnehin eng gesetzt, denn der Schulstart in Russland ist stets der 1. September. Außerdem zitierte die Zeitung Iswestija den russischen Online-Reiseanbieter tutu.ru, dass durch die hochgeschnellte Nachfrage die Ticketpreise für Flüge in die Türkei zwischen 30 und 42 Prozent über denen des vergangenen Jahres lägen. In umgekehrter Richtung sind es ohnehin weniger türkische Urlauber, die es nach Russland zieht, sondern Geschäftsleute, wie ein türkischer Abgeordneter der Zeitung sagte. Sie wollten endlich wieder "Business machen".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4981522
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.07.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.