Süddeutsche Zeitung

Wahl in Russland:Putin wappnet sich

Die russische Führung tut einiges, um den Erfolg bei der anstehenden Parlamentswahl sicherzustellen. "Damit das Land geeint ist und kein Blut fließt", wie Präsident Putin sagt.

Von Julian Hans, Moskau

Frisches Blut brauche das politische System in Russland, sagte Wladimir Putin: "Damit das Land geeint ist und damit kein Blut fließt." Zum ersten Mal seit Jahren besuchte der russische Präsident Mitte des Monats die Regierungspartei Einiges Russland.

Per Videokonferenz wurden Parteibüros aus der Provinz mit der Moskauer Zentrale verbunden und Putin klopfte den Kandidaten virtuell auf die Schulter. Im September wählt Russland ein neues Parlament. Der Wahlkampf hat noch nicht begonnen, aber Vorbereitungen laufen seit Monaten auf allen Ebenen.

Es ist eine Wahl mitten in einer schweren Wirtschaftskrise. Dass die Nervosität steigt, zeigt nicht nur Putins Metapher vom frischen Blut und vom Blutvergießen. Kritische Berichte - wie zuletzt die Enthüllungen der Panama Papers über dubiose Offshore-Geschäfte seine Freundes Sergej Roldugin - wehrt der Präsident als Angriffe ausländischer Geheimdienste ab, die versuchten, das Land vor den Wahlen zu destabilisieren.

So gut die Umfragewerte des Präsidenten auch sein mögen - nach den unerwarteten Massenprotesten bei den Wahlen im Winter 2011/2012 und der Maidan-Revolution in der Ukraine vor zwei Jahren wappnet sich der Kreml für alle Fälle. Noch vor der Winterpause wurde das Wahlrecht geändert. Beobachter müssen nun Tage im Voraus anmelden, welches Wahllokal sie besuchen wollen.

Im März machte Putin überraschend Ella Pamfilowa zur Leiterin der zentralen Wahlkommission. Die 62-Jährige war bis dahin Menschenrechtsbeauftragte der Regierung und hatte sechs Jahre lang den Rat für Menschenrechte und Bürgergesellschaft beim Präsidenten geleitet. Sie zu kritisieren dürfte der Opposition weit schwerer fallen als bei ihrem Vorgänger Wladimir Tschurow, der nach 2011 geradezu als Verkörperung der Wahlmanipulation betrachtet wurde.

Unabhängige Bewerber - theoretisch möglich

Als weiteres Zugeständnis wurde das 2008 abgeschaffte gemischte Wahlrecht wieder eingeführt: Nur noch die Hälfte der 450 Duma-Abgeordneten wird über Parteilisten bestimmt, die andere Hälfte über Direktwahl. Das eröffnet zumindest theoretisch die Chance, dass auch einige unabhängige Bewerber ins Parlament kommen.

Praktisch verhindern Justiz und staatlich gelenkte Medien, dass es zu viele solcher Erfolge gibt. Nachdem ein Mitstreiter des Oppositionellen Alexej Nawalny vor einer Woche bei einer Kommunalwahl in einem Moskauer Vorort angetreten war, leiteten die Behörden ein Verfahren ein, weil er sich dem Wehrdienst entzogen habe.

"Was wird im September passieren? Nichts wird passieren", prognostizierte Nawalny Mitte des Monats im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Nachdem die für alle sichtbare Manipulation am Wahltag vor fünf Jahren die Menschen empört auf die Straßen getrieben hätten, sei die Strategie diesmal eine andere: "Aussichtsreiche Kandidaten der Opposition werden diskreditiert oder gar nicht zugelassen. Die Wahlen selbst können dann so sauber wie möglich abgehalten werden", sagte Nawalny.

Die zersplitterte Opposition wirkt derweil selbst daran mit, dass sie in der Bedeutungslosigkeit verharrt. Am Mittwoch scheiterte wieder einmal ein Versuch, die untereinander zerstrittenen Kleinstparteien mit demokratischem Programm zu einen. Gemeinsam mit der vom ehemaligen Ministerpräsidenten Michail Kasjanow geführten Parnas hatten vier weitere Parteien im April 2015 eine "Demokratischen Koalition" ausgerufen. Am Mittwoch verkündete Alexej Nawalny, dessen Partei Progress von den Behörden nicht zugelassen ist, das Ende der Zusammenarbeit. Medienberichten zufolge konnten die Parteien sich nicht auf einen Modus einigen, nach Listenplätze vergeben und Direktkandidaten aufgestellt werden. Die kleineren wollten sie per Vorwahlen bestimmen, Kasjanow bestand demnach auf seinem ersten Listenplatz auch ohne Wahl.

Die staatlichen Medien schüren den Zwist in der Opposition nach Kräften. Vor vier Wochen strahlte der zu Gazprom-Media gehörende Sender NTW mit versteckter Kamera gefilmte Szenen aus, die Kasjanow beim Sex mit einer Parteifreundin zeigen. Im Ton, den NTW dazu einspielte, lästern die beiden über andere Oppositionelle - prompt forderten Mitglieder von Kasjanows Partei Parnas, er solle auf die Spitzenkandidatur verzichten.

Grigorij Jawlinskij, Urgestein der liberalen aber zahmen Jabloko-Partei, hatte von vornherein der Koalition demokratischer Kräfte abgesagt. So wird allen Prognosen zufolge keine der kritisch zum Kreml eingestellten Parteien in die Duma einziehen.

Erstmals veranstaltet dafür die Kreml-Partei einen Vorwahlkampf; das soll Transparenz demonstrieren und neue Gesichter auf die Bühne bringen, bevor niemand die alten mehr sehen mag - frisches Blut, wie Putin sich ausdrückte.

Denn während Demoskopen für den Präsidenten weiter Zustimmungswerte von mehr als 80 Prozent messen, wächst die Unzufriedenheit mit dem Staat und seinen Organen insgesamt. In einer Umfrage des unabhängigen Lewada-Instituts sagten 39 Prozent der Befragten, der Staat erfülle seine Pflichten gegenüber den Bürgern nicht. So schlecht war der Wert seit der Annexion der Krim nicht mehr.

Mit der Arbeit der Staatsduma waren im März 40 Prozent zufrieden, 59 Prozent unzufrieden. Bei der Einschätzung der Regierung und der Gouverneure in den Regionen halten sich die Meinungen etwa die Waage. Putin indes bewerteten im März 82 Prozent positiv.

Die Folgen der Wirtschaftskrise schlagen sich derweil zunehmend im Leben der Menschen nieder. In einer Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts Wziom gaben 39 Prozent an, ihre Familie habe ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten. Im Jahr zuvor waren es noch 22 Prozent.

Putin am Sorgentelefon

Der Anteil armer Familien, die nicht genug Geld haben, um Kleidung und Lebensmittel zu kaufen, hat damit das Niveau des Krisenjahres 2009 erreicht. In einer Umfrage des Lewada-Zentrums bekannte im Dezember mehr als die Hälfte der Befragten, 58 Prozent, sie müssten bei Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs sparen. Im Vorjahr waren es 37 Prozent gewesen.

Mehr noch als in den vergangenen Jahren geriet Putins live im Fernsehen übertragene Call-in-Sendung "Der direkte Draht" zum Sorgentelefon: Die Straßen schlecht, die Medikamente teuer oder gar nicht verfügbar, die lokalen Beamten untätig. Millionen versuchten durchzukommen, um ihre Probleme dem Präsidenten vorzutragen.

Die Arbeiterinnen der Fischfabrik Ostrownoj im Fernen Osten Russlands beklagten, dass sie schon seit mehr als einem halben Jahr keinen Lohn mehr bekommen. Keine zwei Tage dauerte es, da war das Geld überwiesen, Ermittlungsverfahren gegen sechs Personen eingeleitet und der Fabrik-Gründer zur Fahndung ausgeschrieben. Die Botschaft der vierstündigen Sendung: Wenn Moskau erst davon erfährt, was in den Provinz schiefläuft, werden die Dinge schnell in Ordnung gebracht.

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Quelle:
SZ vom 27.04.2016/gal
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