Russische Raumfahrt:Hinterm Mond

A Russian Soyuz 2.1A rocket carrying Lomonosov, Aist-2D and SamSat-218 satellites lifts off from the launch pad at the new Vostochny cosmodrome outside the city of Uglegorsk, about 200 kms from the city of Blagoveshchensk

Eine russische Sojus-Rakete hebt ab vom Weltraumbahnhof Wostotschny. Dessen Einweihung musste mehrmals verschoben werden.

(Foto: Kirill Kudryavtsev/Reuters)

Eigentlich wollte Russland mit seiner neuen Basis am Amur ein glanzvolles Zeitalter der Raumfahrt einleiten. Doch dann scheitert ein Raketenstart an einem defekten Kabel, überall fehlt es an Geld.

Von Julian Hans, Moskau

Von Wladimir Putin ist bekannt, dass er andere bisweilen warten lässt. Dass man ihn warten lässt, ist er hingegen nicht gewohnt. Der russische Präsident war eigens ins 8000 Kilometer östlich der Hauptstadt gelegene Amur-Gebiet gereist, um beim ersten Start einer Rakete vom neuen Weltraumbahnhof Wostotschny dabei zu sein. Aber der eigentlich für Mittwochfrüh um 4:01 Uhr mitteleuropäischer Zeit angesetzte Countdown wurde in letzter Minute unterbrochen, der Start um 24 Stunden verschoben.

Putin blieb so lange dort, um persönlich zu überwachen, wie die Ingenieure die Fehler suchen, so berichteten russische Medien. Als sich herausstellte, dass ein Fehler an einem Kabel die Panne verursacht hatte und die Sojus 2 am Donnerstagmorgen endlich in einem Ball aus Feuer und Qualm abhob, war die Zeit für Putin gekommen, in die Luft zu gehen. Der Präsident habe den Vize-Premier Dmitrij Rogosin und den Chef der Raumfahrtbehörde Roskosmos in ein Gebäude auf dem Startgelände zitiert und ihnen eine Abreibung verpasst, berichtete Andrej Kolesnikow, Putins Lieblingsreporter und so etwas wie sein Hofschreiber beim Kommersant.

Dem für Rüstung und Raumfahrt zuständigen Rogosin habe Putin eine Abmahnung erteilt, dem Roskosmos-Chef gar eine "strenge Abmahnung", berichtete Kolesnikow. Nicht die Verschiebung des Starts habe den Präsidenten erzürnt, sondern die Ursache: Anderthalb Minuten vor Ende des Countdowns hatten die Kontrollsysteme einen Defekt an einer Treibstoffklappe gemeldet. Nach eingehender Prüfung soll sich aber herausgestellt haben, dass die Klappe in Ordnung war, der Defekt habe entweder im Kabel gelegen, das zu der Klappe führte oder in der Lötstelle - "ein Musterbeispiel für Schlamperei".

Kritiker in Moskau spotteten, weshalb Rogosin für eine defekte Lötstelle eine Rüge erteilt werde, nicht aber für die Skandale um nicht gezahlte Löhne und verschwundene Rubelmilliarden, die das Projekt in Russlands Fernem Osten seit fast zehn Jahren begleiten. 2007 hatte Putin angeordnet, ein neues Raumfahrtzentrum zu bauen, das zunächst parallel zu Kosmodrom in Baikonur betrieben wird. Von dort war Jurij Gagarin am 12. April 1961 als erster Mensch ins All gestartet. Nach dem Zerfall der Sowjetunion blieb Baikonur auf kasachischem Staatsgebiet zurück. Russland zahlt Kasachstan jährlich 115 Millionen Dollar Pacht für die Nutzung. Im vergangenen Jahr sind von dort 18 Raketen gestartet. Der Vertrag läuft zwar bis 2050, allerdings möchte sich Moskau von der politischen Konjunktur im Nachbarland unabhängig machen. Der kasachische Präsident ist 75 Jahre alt, was auf ihn folgt, ist unklar.

Wegen der Krise musste Moskau sein Raumfahrtprogramm stark zusammenstreichen

Größere Unabhängigkeit hat aber ihren Preis. Für Wostotschny musste die Infrastruktur neu geschaffen werden: Eine 300 Quadratkilometer große Schneise wurde in die Taiga geschlagen, 115 Kilometer Straßen gebaut, 125 Kilometer Schienen verlegt. Raketenteile und Satelliten müssen über Tausende Kilometer von den Fabriken im Westen des Landes in die fast menschenleere Region an der Grenze zu China transportiert werden. Das Gelände liegt zudem sechs Breitengrade weiter nördlich als Baikonur. Je näher ein Startplatz am Äquator liegt, desto besser kann eine Rakete den Schwung der Erdrotation nutzen - und damit Treibstoff sparen und schwerere Lasten befördern.

Wegen der Wirtschaftskrise musste Moskau sein Raumfahrtprogramm zuletzt stark zusammenstreichen. Dabei hatte Vize-Premier Rogosin noch vor zwei Jahren von der russischen Eroberung des Alls geschwärmt. In einem Artikel, den die Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta im April 2014 zum Jahrestag von Gagarins Erstflug veröffentlichte, entwarf Rogosin die Utopie, Russland werde seine Präsenz in der erweiterten Erdumlaufbahn ausbauen, den Mond kolonisieren, um schließlich den Mars und weitere Objekte des Sonnensystems zu erobern.

Doch der Griff nach den Sternen wird verschoben. Im Mai 2015 warnte Rogosin im Parlament, Russland drohe seine führende Rolle in der Raumfahrt zu verlieren, sollte nicht großzügig investiert werden. Es half alles nichts: Im neuen Zehnjahresplan für die Raumfahrt fehlen bemannte Mondflüge ebenso wie eine Marsmission. Die Einweihung von Wostotschny musste nicht zum ersten Mal verschoben werden. Eigentlich war der erste Start an Weihnachten 2015 geplant gewesen.

Nach dem Jungfernflug gehen die Bauarbeiten weiter. Erst 2018 soll das Kosmodrom den regulären Betrieb aufnehmen - mit bis zu zehn Starts von Sojus-2-Raketen jährlich. Eine Startrampe für die schweren Raketen des Typs Angara soll bis 2023 fertiggestellt werden. Damit wären dann auch bemannte Flüge möglich.

Bis dahin muss man befürchten, dass die Großbaustelle weiter auch große Skandale produziert. Nachdem im vergangenen Jahr 80 Arbeiter in den Streik getreten waren, weil sie vier Monate lang keinen Lohn erhielten, versprach Putin, für Ordnung zu sorgen. Keine einfache Aufgabe bei 130 beteiligten Subunternehmen. Aufträge wurden überteuert vergeben, Milliarden Rubel verschwanden. Sechs Strafverfahren laufen, bei seinem Besuch drohte Putin neue an: Diejenigen, die Geld unterschlagen hätten, sollten sich darauf gefasst machen "ihr warmes Bett gegen eine Gefängnispritsche zu tauschen".

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