Russische Kampfflugzeuge über Europa:Putins Leistungsschau

Eine russische Tupolev Tu-95 wird in der Luft betankt

Eine Aufnahme der norwegischen Luftwaffe zeigt einen russischen Langstreckenbomber vom Typ Tupolew Tu-95, der in der Luft von einer Iljuschin Il-78 betankt wird

(Foto: Reuters)

Russland hat ungewöhnlich viele Militärflugzeuge in den internationalen Luftraum um Europa geschickt - und damit die Nato überrascht. Will Moskau das Bündnis provozieren? Nicht alle Experten sehen in dem Manöver eine Drohung.

Von Markus C. Schulte von Drach

Mit einer außergewöhnlich großen Zahl von Kampfflugzeugen, die in den vergangenen zwei Tagen über der Ostsee, dem Schwarzen Meer und dem Atlantik unterwegs waren, hat Russland die Nato-Staaten und andere europäische Länder überrascht und irritiert.

Es ist der bisherige Höhepunkt in einer Entwicklung, die sich seit eineinhalb Jahren abzeichnet. So hat die Nato in diesem Jahr bereits mehr als 100 Fälle gezählt, in denen ihre Kampfjets aufgestiegen sind, um russische Militärmaschinen abzufangen. Das sind dreimal so viele wie 2013.

Insgesamt seien es vier Verbände mit insgesamt 26 Maschinen gewesen, berichtet die Nato. Die Militärflugzeuge blieben zwar im internationalen Luftraum. Die Flüge waren der Deutschen Flugsicherung zufolge demnach "völlig legal". Die Maschinen kamen den Grenzen zu den nationalen Hoheitsgebieten jedoch so nahe, dass die Nato-Staaten Norwegen, Großbritannien, Portugal, Türkei, Dänemark und auch Deutschland Kampfjets losschickten, um sie abzufangen. Auch in Schweden und Finnland, die keine Mitglieder des Militärbündnisses sind, starteten Abfangjäger.

Welches Ziel das russische Manöver gehabt haben könnte, ist unklar. Erst am Dienstag hatte der neue Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg dem Wall Street Journal gesagt, es gebe einen "Wandel des russischen Verhaltens". Neben dem Vorgehen in der Ukraine habe man auch erhöhte militärische Aktivitäten in anderen Teilen Europas registriert, an den Grenzen anderer Nato-Staaten und zum Beispiel in der Ostsee. Der "Readiness Action Plan" der Nato für die östlichen Staaten sei deshalb wichtig.

Drohung oder Muskelspiele?

War das Manöver also eine Drohung Moskaus im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise? Oberstleutnant Stephan Persson-Tyrling, Chef der "Luftoperativen Abteilung" bei der Hochschule der schwedischen Armee in Stockholm, bezweifelt das.

"Die Russen haben über längere Zeit in ihre Streitkräfte investiert", sagte Persson-Tyrling SZ.de. "Sie möchten wieder als Supermacht wahrgenommen werden. Jetzt wollten sie der Welt zeigen, wie weit sie sind. Dass sie bald über die Mittel verfügen, die dazugehören."

Deshalb hätten sie moderne Flugzeuge in so großer Zahl präsentiert, die sie über längere Zeit in der Luft halten und mit denen sie die Nato jederzeit überraschen könnten. In Zukunft, vermutet der Experte, werde die Nato noch mehr russische Flugzeuge in der Luft erleben sowie mehr Kriegsschiffe und U-Boote auf See.

"Es ist ein Signal der Stärke", sagte Persson-Tyrling. Und zwar nach außen und nach innen. "Russlands Präsident Wladimir Putin will schließlich von den Russen und dem Rest der Welt als starker Führer wahrgenommen werden."

Dazu passt auch, dass Russland ausgerechnet jetzt eine mit Atomsprengköpfen bestückbare Interkontinentalrakete getestet hat. Die Rakete vom Typ Bulawa wurde offenbar am Mittwoch erfolgreich von einem Atom-U-Boot in der Barentssee aus abgefeuert.

Als Muskelspiele Putins betrachtet auch die US-Regierung die Flüge. Wie ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums der Washington Post anonym sagte, seien diese allerdings besorgniserregend. "Das hilft nicht, die Situation in der Ukraine zu deeskalieren. Es hilft nicht, die Beziehungen zwischen Nato und Russland zu verbessern. Es hilft niemandem."

Stärkere Nato-Präsenz im Osten

Auch die Nato setzt in jüngster Vergangenheit darauf, im Osten mehr Präsenz zu zeigen. Kurz vor dem Beginn der russischen Manöver hatte der neue Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg mitgeteilt, dass die Zahl der Nato-Jets im Luftraum der östlichen Alliierten in den vergangenen Monaten verfünffacht wurde. Ziel sei es, die durch Russlands Verhalten in der Ukraine-Krise besorgten Nato-Partner wie die Balten und Polen zu beruhigen.

Umso mehr Kampfflugzeuge unterwegs sind und auf Abfangjäger stoßen, umso größer wird auch die Gefahr, dass es zu gefährlichen Vorfällen kommen wird, sagte Persson-Tyrling. Es gebe jedoch keinen Grund für die Nato, überzureagieren. Eine angemessene Alarmbereitschaft sei möglich, koste aber Geld. In Schweden wird unter der neuen Regierung derzeit über die Ausgaben für die Verteidigung diskutiert.

Auch über den Eintritt in die Nato gibt es eine Debatte. Schweden ist ebenso wie Finnland traditionell bündnisfrei, hat sich der Nato in den vergangenen Jahren jedoch angenähert. Bislang hat die neue Mitte-links-Regierung von Premier Stefan Löfven die Mitgliedschaft in dem Militärbündnis stets ausgeschlossen. Am Wochenende ergab eine Umfrage für den Sender TV4 allerdings, dass 37 Prozent der Bevölkerung mittlerweile dafür sind, 36 Prozent dagegen.

Mit Material von dpa, Reuters und AFP.

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