Russisch-amerikanische Beziehungen:Wir und die mit den Dollars

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Putin lässt den Streit mit den Amerikanern eskalieren, um von seinen innenpolitischen Problemen abzulenken. Das Verhältnis zwischen Russland und den USA ist deshalb so eisig wie lange nicht - zur offenen Konfrontation wird es aber wohl trotzdem nicht kommen.

Peter Blechschmidt und Tim Neshitov

Der Kremlherrscher tritt ans Rednerpult und geißelt die liberalen Verschwörer, "die heute die Rechte und die Unabhängigkeit der Nation für Dollars verkaufen". Die Fahne der nationalen Unabhängigkeit liege im Dreck, "ihr müsst sie aufheben, wenn ihr Patrioten sein wollt!". So sprach kurz vor seinem Tod Josef Stalin auf einem Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion.

Eisiger Blick: Kremlchef Wladimir Putin wettert gegen die "liberalen Verschwörer". (Foto: AP)

Der Auftritt Wladimir Putins vor seinen Anhängern am Donnerstag zeigte, dass der Kampf gegen "liberale Verschwörer" in Russland nach bewährtem Muster fortgesetzt wird. Es geht um "uns" und um "die mit den Dollars". Putin warf der US-Außenministerin Hillary Clinton vor, mit ihrer Kritik an der jüngsten Duma-Wahl einigen "Aktivisten" ein "Signal" gegeben zu haben. "Wir müssen unsere Souveränität verteidigen", sagte er.

Die russische Souveränität verteidigte zur gleichen Zeit in Brüssel Außenminister Sergej Lawrow. Bei seinem Auftritt im Pressesaal des Nato-Hauptquartiers wartete er erst einmal geduldig, bis die Nato-Flagge aus dem Hintergrund entfernt wurde. Zurück blieb nur die russische Trikolore, deren Faltenwurf von einem Helfer noch ins rechte Licht gerückt wurde. In gebührendem zeitlichen Abstand zu seinem Vorredner, dem Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, betonte Lawrow, Russland mache seit jeher keinen Hehl aus seinen Absichten. Es klang wie eine Drohung.

In Brüssel ging es um die geplante Nato-Raketenabwehr in Europa, die Moskau verunsichert. Am Mittwoch hatte Russland angekündigt, als Gegenmaßnahme Flugabwehrraketen an seiner Westgrenze zu stationieren. Der Auftritt Putins in Moskau verschärfte den Raketenstreit deutlich. Die Beteuerungen von Rasmussen und Clinton, die Raketenabwehr sei nicht gegen Russland, sondern auf Bedrohungen aus dem Mittleren Osten, namentlich Iran, gerichtet, verhallten ungehört. Sein Land verlange rechtlich abgesicherte Garantien, bekräftigte Lawrow. Sonst werde man "angemessen reagieren".

In "düsterer Stimmung", so ein Zuhörer, habe die Sitzung des Nato-Russland-Rats begonnen. Rasmussen habe sich durch die russische Rhetorik "an vergessen geglaubte Tage der Konfrontation" erinnert gefühlt. Die Nato beharrt darauf, politische Zusicherungen müssten bei der Raketenabwehr ausreichen. Die Russen fragen nach Darstellung westlicher Verhandler sarkastisch zurück, ob dies Zusicherungen von der Qualität früherer Aussagen seien, dass das Nato-Gebiet nach dem Ende des Kalten Krieges nicht ausgeweitet würde. Auch der Einsatz in Libyen sei keine vertrauensbildende Maßnahme gewesen, knurrte Lawrow. Russland erwarte mehr Respekt für die intellektuellen Fähigkeiten seiner Führung.

In der Nato nimmt man die Verschärfung der Rhetorik ernst, verweist zugleich aber auch auf die vielfältigen Fortschritte in der Zusammenarbeit mit Russland, etwa in Afghanistan oder beim Kampf gegen Drogen und Terrorismus. Das tat auch Hillary Clinton, bevor sie klar machte, dass sich die USA als Führungsmacht der Nato von ihrem Kurs in der Raketenabwehr nicht würden abbringen lassen. Kein Nato-Mitglied werde Russland in dieser Sicherheitsfrage ein Vetorecht gewähren.

Viel Zeit für eine politische Verständigung mit Moskau bleibt der Nato nicht. Rasmussen nannte als Zeitrahmen den nächsten Nato-Gipfel im Mai in Chicago. Danach dürfte im Präsidentschaftswahlkampf der USA kaum noch Spielraum für Zugeständnisse an Russland bleiben.

Hillary Clinton gab sich sehr kühl auf Fragen nach Putins Behauptung, die USA würden die Straßenproteste in Russland organisieren. Die USA fühlten eine starke Verpflichtung, Demokratie und Menschenrechte zu fördern. Und die Sorgen über den Verlauf der Duma-Wahl seien wohl begründet. "Die Menschen in Russland verdienen, dass ihre Stimme gehört und ihre Stimmen gezählt werden", hatte sie zu Beginn der Woche gesagt.

Die russisch-amerikanischen Beziehungen haben nun ihren tiefsten Punkt seit dem Jahr 2007 erreicht. Damals löste die Rede Putins auf der Münchner Sicherheitskonferenz Ängste vor einem "neuen Kalten Krieg" aus. Der Kremlchef warf der Regierung in Washington damals vor, die Weltherrschaft anzustreben, und kündigte energischen Widerstand Russlands an. Einige Monate später sagte Putin dann: "In unserem Land gibt es Leute, die wie Schakale vor den ausländischen Botschaften betteln."

Andrej Piontkowskij, einer der besten Politologen Russlands, glaubt, das Verhältnis zwischen Moskau und Washington sei "zyklisch": Man brauche einander zu sehr, um in offene Konfrontation zu verfallen, aber ab und zu käme dem Kreml die antiamerikanische Rhetorik ganz gelegen - für innenpolitische Zwecke.

© SZ vom 09.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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