Süddeutsche Zeitung

Runder Tisch gegen Kindesmissbrauch:Was hätte geholfen?

Erstmals trifft sich das Gremium, das Konzepte gegen Kindesmissbrauch erarbeiten soll. Opferschutz-Projekte kritisieren, dass sie nicht mit am Tisch sitzen.

Susanne Höll und Charlotte Frank

An diesem Freitag treffen sich in Berlin erstmals die insgesamt 61 Teilnehmer des von der Bundesregierung gegründeten "Runden Tisches zum Kampf gegen Kindesmissbrauch". Und bevor sich dieses in Deutschland in dieser Form einmalige Gremium konstituiert hat, wird, wenn auch verhalten, Kritik an dieser Institution laut. Vertreter einiger Hilfsorganisationen befürchten, dass am runden Tisch ausgerechnet die Nöte, Interessen und Wünsche jener vernachlässigt werden könnten, um deretwillen die Gruppe ins Leben gerufen wurde - die der Opfer sexueller Gewalt.

Unter den von der Bundesregierung geladenen Experten sind zwar zahlreiche Repräsentanten großer Kinderschutz- und Wohlfahrtsorganisationen, aber nur ganz wenige Vertreter unabhängiger Beratungsstellen, die sich seit Jahren tagtäglich um die kümmern, die als Kind geschändet wurden.

Weder die Mädchen- und Frauenberatungsstelle Wildwasser, noch die Männer-Hilfsgruppe Tauwetter oder die Organisation Zartbitter, allesamt national und international renommierte Projekte, sind an den Tisch gebeten worden. Ursula Enders, die Leiterin und Mitbegründerin von Zartbitter sagt: "Ich habe den Eindruck, Opfer werden ausgegrenzt. Das sieht man an der unzureichenden Beteiligung am runden Tisch."

Thomas Schlingmann von Tauwetter, der einen exzellenten Ruf in der Beratung einst missbrauchter Männer genießt, wundert sich über die Zusammensetzung. Allein die Tatsache, dass Peter Mosser von der kibs-Konstaktstelle für männliche Opfer sexueller Gewalt als Fachmann mit am Tisch sitzen wird, versöhnt ihn mit der Teilnehmerauswahl. Das Expertenwissen und die Kenntnisse der Opfer kämen zu kurz, sagt Schlingmann. "Sie werden auf ihr Opferschicksal reduziert."

Schlingmann, aber auch einige der Experten am runden Tisch, unter ihnen hochrangige Mitglieder der katholischen und der evangelischen Kirche, Pädagogen, Juristen, Mediziner, Psychologen, Familienexperten, Vertreter des Sports, Landesminister und Bundestagsabgeordnete, sind skeptisch, ob das Gremium tatsächlich konkrete und verbindliche Regelungen zum besseren Schutz vor Missbrauch erreichen kann oder aber am Ende nur gutgemeinte, jedoch unverbindliche Appelle verabschiedet.

Der Tisch wird sich nach dem Auftakt in zwei Arbeitsgruppen aufspalten. Unter Vorsitz von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) wird die eine über bessere Vorbeugung beraten. Fachleute, wie Tisch-Mitglied Anne Lütkes vom Deutschen Kinderhilfswerk, sagen, an Konzepten dafür herrsche kein Mangel. Wichtig sei, dass sie umgesetzt würden und dafür Geld zur Verfügung stehe.

Die zweite Arbeitsgruppe mit Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wird sich mit Gesetzesfragen beschäftigen und der delikaten Frage der Entschädigung von Opfern, deren Ansprüche längst verjährt sind. Die katholische Kirche, auf der seit Bekanntwerden des massenhaften Verbrechens an Kindern ein öffentliches Hauptaugenmerk liegt, aber auch die evangelische Kirche und weltliche Einrichtungen, in denen Schutzbefohlene geschändet wurden, sind zu Zahlungen bereit. Ob es einen gemeinsamen nationalen Fonds gibt, den auch Politiker aus allen Bundestagsparteien befürworten, oder individuelle Leistungen, ist noch nicht abzusehen.

Klar scheint dagegen zu sein, dass es Änderungen bei den Verjährungsfristen geben wird. Aus Union und SPD wird gefordert, dass mutmaßliche Täter länger verfolgt werden können. Die Verjährungsfrist läuft jetzt in der Regel zehn Jahre nach dem 18. Geburtstag des Opfers aus, in schweren Fällen nach 20 Jahren. Leutheusser-Schnarrenberger ist in diesem Punkt skeptisch, befürwortet aber auch eine Verlängerung der Fristen für zivilrechtliche Schadenersatzansprüche, die bislang drei Jahre nach dem 21. Geburtstag, in Ausnahmefällen erst nach dem 25. Lebensjahr endet.

Ansprechpartner für Opfer ist die ehemalige SPD-Bundesfamilienministerin Christine Bergmann. Bergmann ist die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, sitzt mit am runden Tisch, und wird sich um Aufklärung und Hilfe für die Misshandelten bemühen, die sich an sie wenden. Sie kann und soll auch eigene Vorschläge unterbreiten. Bergmann beschreibt ihre Arbeit so: "Wir wollen diesen Menschen helfen, wir wollen auch von ihnen lernen: Was hätte ihnen geholfen? Was fehlte?"

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SZ vom 23.04.2010/kfb
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