Der Abgeordnete Mike Amesbury streckte in einer Oktobernacht im vergangenen Jahr in Frodsham in Nordwestengland einen Mann mit einer linken Geraden nieder und schlug auch dann noch auf ihn ein, als er am Boden lag. Der Mann habe ihn provoziert, sagte Amesbury später, auf dem Video der Überwachungskamera ist zu hören, wie Amesbury im Weggehen ruft, „du wirst deinen Abgeordneten nie wieder bedrohen“, offensichtlich betrunken.
Amesbury, 55 Jahre alt und bis dahin sieben Jahre lang Labour-Abgeordneter, wurde von der Partei ausgeschlossen und trat im März schließlich zurück, als der Vorfall bekannt wurde. Ein Gericht verurteilte ihn zu einer zehnwöchigen Gefängnisstrafe, die nach Berufung in eine zweijährige Bewährungsstrafe umgewandelt wurde. Seine Karriere ist seitdem beendet, klar, aber die politischen Folgen sind, wie man seit Donnerstag weiß, viel weitreichender.
Labour verlor hauchdünn – um ganze sechs Stimmen
In Amesburys Wahlkreis in Runcorn und Helsby wurden Nachwahlen notwendig, und die fanden eben an diesem Donnerstag statt, zeitgleich mit den Kommunalwahlen in Teilen Englands. Runcorn und Helsby ist ein neu geformter Wahlkreis, die Gegend in der Nähe von Liverpool ist Labour-dominiert, weshalb es keine Überraschung gewesen war, dass Amesbury dort bei den Wahlen im Sommer 2024 komfortabel gewonnen hatte. Am Donnerstag nun verlor Labour den Wahlkreis an die Kandidatin der Partei Reform UK – um ganze sechs Stimmen.
Das ist, wie die diversen Wahlexperten am Freitag kaum überraschend erklärten, der geringste Vorsprung bei einer Nachwahl der britischen Geschichte. Es ist außerdem die erste Nachwahl, die von Reform gewonnen wurde, weshalb deren Chef Nigel Farage, ebenfalls kaum überraschend, die Nacht zu einer „historischen“ erklärte.
Labour hielt zwar diverse Gemeinderäte und auch Bürgermeister-Posten, der Vorsprung allerdings war in fast allen Regionen kleiner als bei den letzten lokalen Wahlen. Die nächsten Unterhauswahlen sind voraussichtlich erst in vier Jahren, und die Ergebnisse vom Donnerstag ändern nichts daran, dass Nigel Farage und Reform im Parlament eine kleine Nischenpartei darstellen. Außerdem ist es nicht ungewöhnlich, dass Regierungen in Kommunalwahlen abgestraft werden. Der hauchdünne Sieg der Reform-Partei in Runcorn aber zahlt ein auf eine Stimmung, die derzeit in mehreren Teilen zumindest Englands zu beobachten ist. Die Zustimmung für die regierende Labour-Partei erreicht Tiefststände, während der Zuspruch für die Rechtspopulisten um Farage zunimmt.
Im Unterhaus hat die Partei damit nun wieder fünf Abgeordnete (einer der im Sommer gewählten fünf war bereits zurückgetreten), außerdem gewann die Partei am Donnerstag die Kontrolle über einzelne „Councils“, also Gemeinderäte, sowie den Posten eines „Mayors“: Die Ex-Tory-Abgeordnete Andrea Jenkyns wurde in der Region Greater Lincolnshire zur Bürgermeisterin gewählt. Reform hat damit erstmals auf regionaler Ebene politische Führungsämter inne.
Die Konservativen verloren in den Kommunalwahlen erneut zahlreiche Sitze in Gemeinderäten, weshalb die Zukunft der Tory-Chefin Kemi Badenoch ungewiss erscheint. Die Zugewinne von Reform aber sind vor allem für Premierminister Keir Starmer und seine Labour-Partei ein Problem. Die Ergebnisse seien „enttäuschend“, sagte Starmer, und versprach, sein Vorhaben, das Land zu verändern, „noch schneller“ umzusetzen. Bei den letzten Unterhauswahlen noch hatte Labour eine gewaltige Mehrheit gewonnen, im Sommer 2024, nicht einmal ein Jahr ist das her. Spätestens seit Donnerstag wirkt das wie ein längst vergessenes Ereignis aus einem anderen Zeitalter.