Rumänin zur Migrationsdebatte:Wir sind keine Bürger zweiter Klasse

Every Day Life In Romania As EU Members Mull Schengen Inclusion

Alltag in Rumäniens Hauptstadt Bukarest: Junge Rumänen wehren sich gegen Vorverurteilungen (Archivbild)

(Foto: Getty Images)

Fingerabdrücke für Rumänen: Mancher Politiker in Westeuropa tut so, als ob alle Südosteuropäer Sozialbetrüger seien. Das Gegenteil ist der Fall. Ihre Kreativität und Qualifikation bereichern die EU. Die schrillen Töne gegen Zuwanderer führen zu Wut auf den Westen.

Ein Gastbeitrag von Miruna Troncota

Die Autorin ist 27 Jahre alt und promoviert gerade an der National School for Political Science and Public Administration in Bukarest.

Es hat mich sehr irritiert, als zu Jahresbeginn die guten Nachrichten" für Rumänien in der Öffentlichkeit als "schlechte Nachrichten" für gewisse EU-Staaten dargestellt wurden. In der ersten Woche des Jahres 2014 fanden nacheinander zwei wichtige Ereignisse statt, die widersprüchliche Ansichten zu unserer Unionsbürgerschaft auslösten.

Zum einen wurde überall berichtet, dass am 1. Januar die Beschränkungen für bulgarische und rumänische Staatsbürger hinsichtlich der Dienstleistungsfreiheit und der Arbeitnehmerfreizügigkeit aufgehoben wurden. Diese Maßnahme hat die Diskussion vor allem in den wenigen aber wichtigen Staaten befeuert, in denen es für Rumänen und Bulgaren Einschränkungen bezüglich der Aufnahme einer Arbeit und des Anspruchs auf Sozialleistungen gab.

Die Diskussion erreichte ihren Höhepunkt mit der Forderung von Elmar Brok, Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments, Fingerabdrücke von rumänischen und bulgarischen Einwanderern zu nehmen. Am folgenden Tag versammelten sich viele Menschen vor der deutschen Botschaft in Bukarest, um gegen diesen Vorschlag zu protestieren. Viele deutsche, rumänische und Politiker der EU haben ihn ebenfalls als demagogisch, populistisch und unverantwortlich zurückgewiesen. Gleichwohl hat diese ganze "Aufregung" einen wichtigen Aspekt angeschnitten, der die EU und ihre Zukunft betrifft. Schließlich gibt es laut einem rumänischen Sprichwort "keinen Rauch ohne Feuer".

Zum anderen fand einige Tage nach dieser Diskussion im Parlamentspalast in Bukarest eine Veranstaltung statt, die von der Liga der Rumänischen Studenten im Ausland (LSRS) organisiert wurde. Bereits zum fünften Mal wurden in der "LSRS Gala" wissenschaftliche Spitzenleistungen ausgezeichnet und der Öffentlichkeit die aktivsten rumänischen Studenten vorgestellt, die in Elite-Universitäten auf der ganzen Welt studieren. Fast 1000 Besucher kamen zu dieser Veranstaltung: Studenten, Diplomaten, Botschafter sowie Vertreter aus Kultur und Politik aus Rumänien und dem Ausland. Viele meiner Freunde waren entweder als Organisatoren dort oder haben eine Auszeichnung für ihre akademischen Verdienste entgegen genommen. Es hat mich sehr gefreut, dass einige Tage lang darüber berichtet wurde, wie stolz diese Begabten Rumänien im Ausland repräsentieren. Eine Zeitung hat sogar alle zehn Gewinner der Preisverleihung interviewt.

In den vergangenen Wochen hatte ich vor allem das Gefühl, dass ich nicht mehr verstehe, was die EU bedeutet. Einerseits schlagen deutsche und französische Politiker Maßnahmen vor, die unser Recht auf Freizügigkeit in der EU einschränken würden, immerhin ein Grundwert der Unionsbürgerschaft. Andererseits sind wir stolz darauf, dass Rumänen die besten Universitäten wie Harvard, Stanford, die London School of Economics oder die TU München mit eindrucksvollen Ergebnissen abschließen und zumeist in ihr Heimatland zurückkehren wollen, um ihr im Ausland erworbenes Wissen anzuwenden.

Enttäuscht und entmutigt

Als ich vor zehn Jahren Schülerin am Gymnasium war, fanden in unseren Schulen Informationsveranstaltungen über den zukünftigen EU-Beitritt unseres Landes statt. Jeder versuchte, unsere vorhandene Skepsis in Bezug auf die EU dadurch zu entkräften, dass uns die Vorteile der Mitgliedschaft angepriesen und die Funktionsweise der EU überzeugend nähergebracht wurde. Damals habe ich die nach meiner Ansicht "coolen" Aspekte der EU-Mitgliedschaft betont - reisen und studieren zu können, Unterschiedliches zu entdecken, eine umfassendere Sicht auf regionale Probleme zu gewinnen und, am wichtigsten, Lösungen gemeinsam zu erarbeiten.

Davon bin ich noch immer überzeugt. Doch ich bin enttäuscht von den migrationsfeindlichen Diskussionen in einigen EU-Gründerstaaten. Ich habe den Eindruck, dass diese Länder uns den Eindruck vermitteln wollen: "Oh, entschuldigt bitte, dass wir euch vor einigen Jahren von den Vorteilen der Mitgliedschaft erzählt haben und euch als angesehene europäische Bürger bezeichnet haben. Jetzt haben wir unsere Meinung geändert. Es sieht so aus, als hätten wir euch überschätzt und ihr uns."

Vor kurzem habe ich mit Freunden gesprochen, die entweder im Ausland leben oder dies vorhaben. Wir fühlten uns entmutigt, eine Karriere in Europa zu planen, wenn man uns dort als Bürger zweiter Klasse oder als Bedrohung wahrnimmt. Einige fühlen sich von Broks Vorschlag, Fingerabrücke zu nehmen, beleidigt. Ein Freund sagte mir: "Das ist schrecklich. Wenn sie die Freizügigkeit aus wirtschaftlichen Gründen grundsätzlich einschränken wollen, dann sollten sie in Deutschland Fingerabdrücke von allen EU-Bürgern nehmen, nicht nur von Rumänen oder Bulgaren."

In Großbritannien und Frankreich gab es in den vergangenen Jahren ähnliche Diskussionen, zu denen auch die Medien mit Kampagnen gegen unsere Länder beigetragen haben. Ich habe erlebt, wie viele junge, gebildete und sehr gemäßigte Menschen in meinem Umfeld eine Art antiwestliche Einstellung entwickelt haben. Sie fühlen sich verpflichtet, in Rumänien zu bleiben um zu beweisen, dass man auch hier wundervolle Dinge vollbringen kann. Sie fühlen sich woanders nicht willkommen.

Wenn wir uns allein durch unsere Staatsbürgerschaft schuldig machen, ganz unabhängig von unserem Verhalten als europäische Bürger (d.h. mit der Übernahme von Rechten und Pflichten), und wenn wir alle als Gesetzlose und illegale Robin Hoods des deutschen Wohlfahrtsstaates verunglimpft werden, möchte ich gar nicht Teil dieser Gesellschaft sein. Um ehrlich zu sein: Ich fühle mich in diesem europäischen Umfeld sehr unsicher.

Viele Jugendliche wenden sich von der Politik ab

Wenn man Äußerungen von Politikern wie Elmar Brok liest, hat man den Eindruck, als ob alle Rumänen nur davon träumten, im Westen zu leben, vom Kindergeld, den Renten und Steuerermäßigungen zu profitieren und ein glückliches Leben zu führen. Ich fühle mich durch diese Vorstellung eines "rumänischen Traums" in der EU maßlos beleidigt. Das Gegenteil ist der Fall: Schon in der Vergangenheit haben die hochqualifizierten, hart arbeitenden Rumänen und ihre kreativen Initiativen die EU bereichert und das werden sie auch in Zukunft tun.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich gibt es Sozialbetrüger und gegen sie muss professionell und rasch vorgegangen werden. Für diese Menschen sowie für die Herausforderungen, vor die sie die Wirtschaft stellen, müssen wir spezielle Lösungen finden. Fingerabrücke oder andere diskriminierende Maßnahmen führen allerdings meiner Meinung nach nur zu Polarisierung und Zunahme von gesellschaftlicher Gewalt. Und genau wie zu Gymnasialzeiten bin ich davon überzeugt, dass die EU cool ist, weil sie dazu beiträgt, Lösungen gemeinsam und nicht gegeneinander zu finden, wie das über Jahrhunderte in Europa der Fall war.

Wütend und enttäuscht - das sind die meisten der EU wohlgesonnenen Jugendlichen in meiner Umgebung derzeit. Aber wir sind eine kleine Minderheit. Die meisten jungen Rumänen wollen das Land gar nicht verlassen und diese Art von Politik widert sie an. Sie interessieren sich weder für EU-Themen noch für öffentliche Debatten in Rumänien. Ihnen ist es schlicht egal, was andere von uns halten, weil sie sich überhaupt nicht für diese Themen interessieren und sie irrelevant finden.

Übertriebene und aufrührerische Diskussionen

Ein Freund sagte mir: "Ich habe Besseres zu tun als mir über die EU Gedanken zu machen. Wen kümmert's, es ist ihre Politik, nicht meine." Eine derartige Einstellung finde ich erst recht beängstigend, vor allem angesichts der Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2014. Die hohe Zahl junger Menschen, die nicht zur Wahl gehen, ist ein Indiz dafür, dass die Zahl aktiver und verantwortungsbewusster EU-Bürger abnimmt.

Aus meiner Sicht sind das Kettenreaktionen. Die Diskussion darüber, bestimmte Menschen von EU-Leistungen auszuschließen und sie so zu Bürgern zweiter Klasse zu machen, führt dazu, dass sich viele Menschen vom Politikbetrieb abwenden, weil sie sich dort nicht mehr repräsentiert fühlen. Dies sind sehr gefährliche Phänomene, weil sie nichts damit zu tun haben, was die EU ausmacht - nämlich gemeinsam Lösungen zu finden, wie ich es als Schülerin gelernt habe.

Werden Rumänen und Bulgaren pauschal als "Sozialbetrüger" bezeichnet, liegt hier die Ursache für die jüngsten übertriebenen und aufrührerischen EU-Diskussionen gegen Zuwanderung. Verallgemeinerungen sind immer schmerzhaft, weil sie die Wirklichkeit falsch abbilden, aber gleichwohl manchmal nötig, um die komplexen Aspekte der Wirklichkeit zu verstehen. Sie erklären, warum wir manchmal nationale Klischees verwenden, wie etwa, dass einige Nationalitäten immer zu spät kämen, faul seien oder einfacher Sprachen lernten.

In Osteuropa wächst Wut auf den Westen

Aber zu starke Verallgemeinerungen sind etwas anderes. Die verkürzte Darstellung von Rumänen und Bulgaren entspricht nicht nur undemokratischen Praktiken, sondern birgt die Gefahr, von der Mehrheit der EU-Bürger für bare Münze genommen zu werden, so dass aus einfachen Stereotypen schwere Stigmatisierungen werden. Die in einigen Ländern zu beobachtenden migrationsfeindlichen Pressekampagnen beruhen genau darauf und lassen in Osteuropa eine neue Wut auf den Westen aufleben.

Populismus bedient sich dieser starken Verallgemeinerung, weil damit die Menschen an ihre größten Ängste vor "Gemeinschaften" erinnert werden können - die Angst vor Überfremdung und die Angst vor dem Verlust ihrer Identität und ihrer Vorteile. Ich denke, dass die Demokratie in der EU viel fordernder ist als diese populistischen Verkürzungen. Auch wenn wir wissen, wie die populistische Logik funktioniert, sind wir nicht gegen ihre negativen Effekte immun. Letztendlich werden in ganz Europa Menschen diese alarmierenden Nachrichten glauben - vor allem die Mehrheit der passiven EU-Bürger.

Die Möglichkeit, in einem anderen EU-Staat zu leben und zu arbeiten, sollte nicht als Bedrohung für Arbeitsplätze oder als Belastung für die Sozialsysteme eines Landes wahrgenommen werden. Anstatt gegen EU-Bürger zu kämpfen, die als "Zuwanderer aus dem Osten" dargestellt werden, sollten wir auch über die symbolische Bedeutung der Freizügigkeit in Europa nachdenken, die eine wichtige Errungenschaft der europäischen Integration ist. In diesem Licht haben die jüngsten migrationsfeindlichen Debatten in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien nicht nur rumänische und bulgarische Staatsbürger beschämt, sondern auch dazu beigetragen, dass auf EU-Ebene über "Kollektivschuld" und die Notwendigkeit von "kollektiver Bestrafung" nachgedacht wurde. Begriffe, von denen wir glaubten, dass sie nach den Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts verschwunden seien.

Übersetzung: Dorothea Jestädt

Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Kooperation "Mein Europa" von Süddeutsche.de mit dem Projekt FutureLab Europe der Körber-Stiftung. Bis zur Europawahl Ende Mai werden in der Serie junge Europäer zu Wort kommen - streitbar, provokativ und vielfältig.

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