Rumänien:Rückbau des Rechtsstaats

Rumänien: Neue Proteste gegen die Regierung sind zu erwarten: Dieses Bild entstand bei einer Demonstration in Bukarest im vergangenen Jahr.

Neue Proteste gegen die Regierung sind zu erwarten: Dieses Bild entstand bei einer Demonstration in Bukarest im vergangenen Jahr.

(Foto: Daniel Mihailescu/AFP)

Die Regierung in Bukarest beschneidet mit zwei Erlassen die Unabhängigkeit der Justiz:

Von Florian Hassel, Matthias Kolb, Warschau/Brüssel

Rumänien steht nach Eilerlassen der Regierung vor neuen Protesten. Nachdem die von den Postkommunisten (PSD) geführte Regierung zwei Erlasse verabschiedet hatte, die Beobachtern zufolge die Unabhängigkeit der Justiz bedrohen, riefen Aktivisten, die Opposition und selbst Richter und Staatsanwälte zu landesweiten Demonstrationen auf.

Stein des Anstoßes sind zwei Anordnungen vom Dienstag: Mit diesen beschneidet die Regierung die Vollmachten des noch unabhängigen Generalstaatsanwalts und des bereits im Herbst 2018 geschwächten Justizrates, beschränkt die Amtszeit führender Staatsanwälte auf drei Jahre und entzieht eine neue "Sonderermittlungsbehörde für Justizstraftaten" (SIIJ) faktisch der Aufsicht durch den Generalstaatsanwalt. Die neue Behörde ermittelt bereits gegen unabhängige rumänische Juristen und Regierungskritiker - und gegen die EU-Kommission.

Die EU hat Rumänien, das aktuell den EU-Ratsvorsitz innehat, wegen rechtsstaatlicher Rückschritte ebenso kritisiert wie die Venedig-Kommission, das weltweit führende Expertengremium für Rechtsstaatsfragen. Rumäniens Ex-Verfassungsgerichtspräsident Augustin Zegrean folgerte nach den jüngsten Eilerlassen, dass "Rumänien kein Rechtsstaat mehr ist". Ähnlich sieht es der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für EU-Angelegenheiten, Gunther Krichbaum. "In Rumänien wird der Rechtsstaat von vorne bis hinten geschleift - und Brüssel tut nichts dagegen. Es ist höchste Zeit, gegen Rumänien wegen Verletzung der EU-Rechtsstaatskriterien endlich ein Verfahren nach Artikel 7 einzuleiten", sagte der CDU-Politiker der SZ.

Bukarest beschneidet seit Anfang 2018 die Befugnisse des Präsidenten und die Unabhängigkeit von Gerichten und Staatsanwälten. Auch die Anti-Korruptions-Sonderstaatsanwaltschaft DNA ist der Regierung ein Dorn im Auge: Die DNA brachte unter ihrer Leiterin Laura Kövesi Dutzende hoher Amtsträger, Parlamentarier und Minister vor Gericht und meist auch ins Gefängnis. Kövesi klagte auch den mächtigsten Mann Rumäniens, PSD-Parteichef Liviu Dragnea, in mehreren Verfahren an. Dragnea ist rechtskräftig wegen Wahlfälschung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und steht in weiteren Verfahren vor Gericht.

2018 sorgte die Regierung für die Entlassung Kövesis. Als Nachfolgerin schlug Justizminister Tudorel Toader die als ihm nahestehend geltende Staatsanwältin Adina Florea vor. Im Oktober 2018 lehnte Rumäniens Justizrat Florea wegen mangelnder Kompetenz und ihrer Nähe zur Politik als neue DNA-Chefin ab. Daraufhin machte der Justizminister sie zum Führungsmitglied der neuen Sonderermittlungsbehörde (SIIJ).

Innerhalb der vergangenen Woche machte Florea zwei Mal Schlagzeilen: Erst lud sie Ex-DNA-Chefin Kövesi zum Verhör vor. Die Ex-Staatsanwältin kandidiert für das Amt eines europäischen Generalstaatsanwalts - Rumäniens Regierung will verhindern, dass Kövesi dieses Amt bekommt.

Am Mittwoch dieser Woche gab die SIIJ zudem bekannt, sie ermittele gegen Rumäniens Generalstaatsanwalt Augustin Lazar, gegen den für Rechtsstaatsfragen zuständigen EU-Vizepräsidenten Frans Timmermans, EU-Justizkommissarin Vera Jourova und Angela Cristea, die Vertreterin der EU-Kommission in Bukarest. Die Vorwürfe: Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, Amtsmissbrauch und Dokumentenfälschung. Stein des Anstoßes ist der letzte Prüfbericht der EU-Kommission, in dem Rumänien scharf kritisiert wurde. Die EU-Kommission betonte, nationale Behörden seien grundsätzlich nicht für angebliche Vergehen von EU-Beamten zuständig. Dies sei ausschließlich Kompetenz des Europäischen Gerichtshofs. Gleichwohl verstärkt die Nachricht der beispiellosen Ermittlung in Brüssel Zweifel über Rumäniens Eignung als EU-Ratsvorsitzender.

Das Timing des rumänischen Störfeuers ist brisant: Seit langem fordern die Sozialdemokraten (S&D) den Rauswurf von Ungarns Fidesz-Partei aus der Europäischen Volkspartei, sie haben die neue Anti-Brüssel-Kampagne von Ministerpräsident Orbán scharf kritisiert. Nun wird offensichtlich, dass S&D ähnliche Sorgen hat: Die PSD attackiert mit dem Niederländer Timmermans nicht nur die Nummer 2 der EU-Kommission, sondern auch ihren Spitzenkandidaten für die Europawahl. Vor dem Parteikongress in Madrid, bei dem das Wahlprogramm beschlossen werden soll, sagte Udo Bullmann, Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europarlament, der SZ: "Wir erwarten, dass die rumänische Regierung europäisches Recht respektiert und umsetzt." Die Frage, ob auch S&D aus Machtkalkül Europaskeptiker unter sich duldet, wird Timmermans dennoch beantworten müssen.

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