Rumänien:Regierung der Widersacher startet

Rumänien: Rumäniens neuer konservativer Premier: der General und ehemalige Verteidigungsminister Nicolae Ciucă.

Rumäniens neuer konservativer Premier: der General und ehemalige Verteidigungsminister Nicolae Ciucă.

(Foto: Daniel Mihailescu/AFP)

Konservative und Sozialdemokraten haben eine komplizierte Machtrotation ausgetüftelt. Ihr Koalitionsvertrag dürfte die Europäische Union enttäuschen.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Es brauchte mehrere Anläufe und mehrere Ministerpräsidenten-Kandidaten, bis sich in Rumänien eine neue Regierung zusammenfand. Der Clou: Mittlerweile gibt es, wenn man so will, sogar zwei Regierungen.

Denn nachdem Anfang Oktober der bisherige konservative Ministerpräsident Florin Cîtu durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden war, hatten sich jene zwei Parteien zusammengetan, die noch im letzten Wahlkampf vor Jahresfrist am lautesten beteuert hatten, niemals, aber auch niemals gemeinsam regieren zu wollen: Cîtus Konservative (PNL) und die Sozialdemokraten (PSD). Die nationalistischen und russlandfreundlichen Sozialdemokraten hatten aber eindringlich betont, sie könnten mit den Konservativen nur Politik machen, wenn Cîtu weiche. Der leistete anhaltenden Widerstand, wurde dann aber auf Druck von Staatspräsident Klaus Johannis, der die Akteure in der jüngsten Staatskrise dirigierte, zum Rückzug gezwungen.

Nun also gibt es eine große Koalition und seit Freitag auch einen Koalitionsvertrag. Außerdem wurde tags zuvor ein neuer Ministerpräsident vereidigt: der General und ehemalige Verteidigungsminister Nicolae Ciucă von der PNL. Es könnte also losgehen mit der Krisenbewältigung in dem von Corona schwer gebeutelten Land, in dem zudem der ewige Streit um Korruptionsbekämpfung und die Verwendung von EU-Geldern ein Dauerthema ist - auch in den Fortschrittsberichten der EU. Dem Start der neuen Regierung ging jedoch ein wochenlanger Personalpoker voraus, der bestätigen könnte, was die Opposition schon jetzt voller Hohn sagt: Diese Regierung wird, wie die letzte, das kommende Jahr kaum überleben.

Der aktuelle Deal sieht nämlich so aus: Der neue Premier Ciucă wird das Land nur anderthalb Jahre lang führen; am 25. Mai 2023 wird getauscht. Denn PSD und PNL konnten aus machtpolitischen Gründen nur zueinanderfinden, indem sie ein Rotationsprinzip verabredeten. Am 26. Mai 2023 übernimmt also die Linke, vermutlich Parteichef Marcel Ciolacu, den Posten des Regierungschefs.

Die Opposition sieht die Justizreform gefährdet

Um sicherzugehen, dass keine Seite übervorteilt wird, wurden aber noch mehr Rotationen ausgetüftelt. Wechseln sollen nach anderthalb Jahren auch die Posten eines Vize-Premierministers, die Ministerien für Finanzen, Justiz, Verkehr und EU-Mittel sowie der Generalsekretär der Regierung. Die Korruptionsexpertin Laura Stefan vom Thinktank Expert Forum sagte der SZ dazu: "Ich finde die ganze Idee einer Regierungsrotation bizarr. Ich weiß nicht, wie das gehen soll und frage mich, ob die überhaupt wissen, wie das gehen soll." Die neue Koalition sei jedenfalls sehr problematisch - vor allem, wenn es um die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in Rumänien gehe.

Anderthalb Jahre PNL, anderthalb Jahre PSD, dann Neuwahlen - so sieht der Deal aus. Zudem haben die Großkoalitionäre bereits angekündigt, sie planten für einen größeren Zeitraum, am liebsten gleich für sieben oder acht Jahre. Im Parlament versprach Ciucă bei seiner Antrittsrede "Vorhersehbarkeit, Stabilität" und bessere Erfolge bei der Bekämpfung der Corona-Epidemie. Wie gut die Stimmung in der neuen Partnerschaft ist, konnte man bei diesem Thema aber auch gleich sehen. Nach der Vereidigung teilte der PSD-Chef öffentlich gegen die neuen Partner aus: Die Sozialdemokraten würden nicht, wie die Konservativen, lügen und behaupten, die Pandemie sei schon besiegt.

So oder so will man mit massiven Investitionen die marode Infrastruktur verbessern und Renten sowie Löhne anheben. Außerdem soll der EU-Wiederaufbau- und Resilienzplan mit Brüssel nachverhandelt werden. Die von der EU geforderten Reformen im Justizbereich sind indes nicht im Koalitionsvertrag vorgesehen; dabei hatten Kommission und EuGH mehrmals die Abschaffung der unter der letzten, sozialdemokratischen Regierung, bei der Staatsanwaltschaft eingeführten Disziplinarkammer angemahnt, die Kritiker als eine Art Zensurbehörde für allzu unabhängige Richter ansehen. Dies ist bis heute nicht geschehen.

Die Opposition, allen voran die aus der letzten Koalition ausgetretene liberale USR-Plus, ist empört. Deren Parteichef schrieb am Wochenende auf Facebook, Präsident Johannis habe die Regierung vor wenigen Tagen in die Hände von Menschen gelegt, die sich 15 Jahre lang vor einer echten Justizreform gedrückt hätten. Ein Beweis dafür sei, dass die Koalition die Anwältin Laura Vicol, die durch ihre Kampagnen gegen das Nationale Antikorruptionsbüro berühmt wurde, zur Chefin der Rechtskommission der Abgeordnetenkammer gemacht habe. Schlimmer noch: Vicol stehe dafür, dass die umstrittene Disziplinarkammer für Richter beibehalten werde.

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